Fall Mollath: "Die Anordnung einer Betreuung ist aus psychiatrischer Sicht auch gegen den Willen des Betroffenen notwendig"

Rechtsanwalt Gerhard Strate veröffentlicht Auszüge aus Betreuungsakte seines Mandanten

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Es sind 319 Seiten, die es in sich haben: Gerhard Strate, der Verteidiger von Gustl Mollath, hat Auszüge aus der Betreuungsakte seines Mandanten veröffentlicht.

In der Akte kommt zum Ausdruck, wie sehr die psychiatrisch Verantwortlichen die Betreuung veranlassen wollten und wie verzweifelt Gustl Mollath versucht hat, sich dagegen zu wehren. Die Akte liefert ein beklemmendes Bild einer Psychiatrie, der es Kraft ihrer Machtposition gelingt, eine Betreuung für einen Patienten in die Wege zu leiten, dem nur die Gegenwehr mit dem Wort bleibt – und das hatte, so wird es deutlich, zunächst kein Gewicht.

"Ich weiß was eine Betreuung ist, das wäre eine Katastrophe für mich. Ich möchte nachweisen, dass ich völlig gesund bin. Ein unabhängiger, geeigneter Sachverständiger, soll mich untersuchen."

Es sind Sätze wie diese, die Gustl Mollath 2006 handschriftlich niedergeschrieben hat, die dem Leser der Akte vor Augen führen, in welcher Situation Mollath sich befunden hat. In einer kalten, bürokratischen Sprache tritt die psychiatrische und die behördliche Macht über das Leben von Gustl Mollath, wie sie in den Akten zu erkennen ist, zu Tage. Da heißt es etwa in einem Schreiben der Forensischen Psychiatrie in Bayreuth vom 5. April 2006:

"Im Rahmen der paranoiden Verkennung der Wirklichkeit ist es Herrn M. nicht möglich seine Krankheit einzusehen oder gar die Notwendigkeit der Behandlung seiner Erkrankung begreifen zu können. Vielmehr leidet die Fähigkeit des Herrn M., Zusammenhänge vorurteilsfrei wahrzunehmen derart, dass er die Nachteile eines Verzögerns der Behandlung nicht selbst abwägen kann."

Oder in dem darauf folgenden Beschluss vom Betreuungsgericht in Bayreuth:

"Es sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, daß die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers mit dem vorstehend beschriebenen Aufgabenkreis gegeben sind… Der Betroffene ist aufgrund einer der in § 1896 Abs. 1 S. 1 BGB aufgeführten Krankheiten bzw. Behinderungen, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, nicht in der Lage, diese Angelegenheiten zu besorgen."

In einem Schreiben des Bezirks Niederbayern ist zu lesen:

"Seit Dienstag, den 16.08.2006 befindet sich Herr Mollath nunmehr in einer Verweigerung der Nahrungszufuhr, die er mit vordergründiger Rationalisierung abwehrt. Aus unserer Sicht handelt es sich um eine krankheitsbedingte Verweigerungshaltung aus Protest oder möglicherweise bei im Hintergrund stehenden wahnhaften Vergiftungsängsten."

Und so reihen sich die Stellungsnahmen, Beschlüsse und Entscheidungen in der Betreuungsangelegenheit im Fall Mollath aneinander. Gustl Mollath ist am 6. August durch einen Beschluss des Oberlandesgericht Nürnberg freigekommen. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über eine Verfassungsbeschwerde in Sachen Mollath, die von dem Freiburger Rechtsanwalt Michael Kleine-Cosack im Januar 2012 eingereicht wurde, steht noch aus.