Afghanistan: Westliche Diplomaten sprechen von potemkinschen Wahllokalen

800 Wahllokale waren angeblich nie für Wähler geöffnet, trotzdem wurden von dort Tausende Stimmen für Karsai gemeldet

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Wie bereits abzusehen war, nähert sich der amtierende afghanische Präsident Hamed Karsai bei der Stimmenauszählung der entscheidenden 50 Prozent-Marke, die eine Stichwahl unnötig macht. Nach Auszählung von rund drei Viertel aller Wahllokale (74,1 Prozent) führt Karsai mit 48.6% vor seinem stärksten Rivalen, Abdullah Abdullah, der mit 31.7% schon ziemlich abgeschlagen hinter ihm liegt. Diese Ergebnisse veröffentlichte die Independent Election Commission (IEC) gestern. In der begleitenden Pressemitteilung gab die Kommission bekannt, dass man im Falle festgestellten Betrugs oder von Unkorrektheiten entweder eine Neuauszählung bestimmter Wahllokale ordern, bzw. manche Ergebnisse annullieren würde. Bislang habe man festgestellt, dass von rund 4,5 Millionen abgegebenen Stimmen etwa 4,3 Millionen gültig seien. Derzeit zählt man etwas über 153.000 ungültige Stimmen, c.a. 73.000 wurden für Kandidaten abgegeben, die ihre Kandidatur schon vor der Wahl zurückgezogen haben. In 447 Wahllokalen sind die abgegeben Stimmen wegen Betrugs für ungültig erklärt worden.

Die Überprüfung der Wahlergebnisse würde einige Zeit in Anspruch nehmen, so die IEC - ein Hinweis, dass es länger als geplant dauern könnte, bis das offizielle Endergebnis vorliegt.

Diesem einen Punkt stimmen auch die Berichte zu, die ein ansonsten völlig anderes Bild vom Ausmaß der "Unkorrektheiten" bei der diesjährigen Präsidentschaftswahl zeichnen. So ist auch im jüngsten Bericht des New York-Times Reporters Dexter Filkins von einem "Massenbetrug" die Rede. Von 800 potemkinschen Wahllokalen, die nur auf dem Papier geöffnet hatten, von Tausenden von Stimmen, die dort für Karsai abgegeben wurden. Daneben sollen Unterstützer von Karsai weitere 800 ordentliche Wahllokale "übernommen" und mit zusätzlichen "Zehntausenden von Stimmen" für den Amtsinhaber aufgefüllt haben.

Als Quelle für die Vorwürfe der Wahlbetrugsmanöver in großem Stil stellt die Zeitung einen nicht näher genannten "ranghohen westlichen Diplomaten" heraus und darüberhinaus ebenfalls nicht namentlich genannte "westliche Offizielle", die in Afghanistan tätig sind, die das "Muster" bestätigen würden.

Nach Aussagen des anonymen senior Western diplomat ließen ungefähr 15 % der Wahllokale am Wahltag überhaupt keine Wähler an die Urnen. Obwohl sie niemals offen waren, meldeten sie Tausende von Stimmen für Karsai. Die Betrugsmanöver solllen ihm zufolge vor allem in den östlichen und südlichen Regionen, wo vor allem Paschtunen leben, stattgefunden haben. Das Zwischenergebnis für Karsais Provinz Kandahar notiere 350.000 abgegebene Stimmen; nach Schätzungen der westlichen Diplomaten könne man aber höchstens von 25.000 Wählern ausgehen, die dort tatsächlich ihre Stimme abgegeben haben.

Dass es Fälle von Wahlbetrug gegeben habe, räumt nach Informationen der Zeitung auch der erste Sprecher der Wahlmannschaft Karsais, Wahid Omar, ein. Allerdings mit dem Zusatz, dasss sie "von verschiedenen Kandidaten begangen wurden"; die Opposition würde dies ausnutzen, um mit plakativen Vorwürfen in den Nachrichtenmedien Punkte zu sammeln.

Vertreter der von der UN eingesetzten Wahlbeschwerdekommision schätzen, dass es Monate dauern könnte, bis man einen Kandidaten offiziell zum Wahlsieger erklären könne.