"Sie prüfen die Distanz zwischen ihnen und den Afghanen"

Insider-Angriffe, ausgeführt von Uniformierten der afghanischen Sicherheitskräfte, machen der Nato zu schaffen

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Der Isaf-Kommandeur, US-General John Allen, ist außer sich vor Wut, "mad as hell", über die Anschläge, die von Männern ausgeführt werden, die Uniformen der afghanischen Armee oder Polizei tragen; Einheiten also, die die westlichen Verbündeten in Afghanistan in den letzten Jahren mit größerem Aufwand ausgebildet haben. "Green-on-blue" heißen solche Angriffe im militärischen Fachjargon oder auch "insider attacks". In einem Fernsehinterview, das gestern ausgestrahlt wurde, verglich Allen die Strategie mit den Aufstellen von selbstgebauten Sprengfallen im Irak, das die US-Armee vor große Probleme stellte. Wurden die IEDs die berüchtigte Waffe der Gegner im Irak, so könne man nun beobachten, dass Insider-Angriffe zur "signature attack" in Afghanistan werden.

Bis heute wurden allein in diesem Jahr 53 Nato-Soldaten getötet. Für 2012 wurden 33 solcher Angriffe gezählt; im letzten Jahr waren es 15 und 33 Tote. Und auch beim heute gemeldeten Selbstmordanschlag in Khost, in der Nähe der pakistanischen Grenze, kamen drei Soldaten der der internationalen Schutztruppe ums Leben. Ausgeführt wurde der Anschlag von einem Mann in afghanischer Polizeiuniform. Der Anschlag, der auf einer belebten Straße erfolgte, kostete mindestens zehn Afghanen - Polizisten und Zivilisten - das Leben. Dass neben Angehörigen der internationalen Streitkräfte auch Einheimische ums Leben kommen, wird in den Berichten nicht weiter als ungewöhnlich vermerkt. Die Taliban brüsten sich laut New York Times mit dem Anschlag eines ihrer "heldenhaften Mudschahedins". Mehr als 60 Zivilisten wurden verletzt. Auch anderen Insider-Attacken schreiben die Taliban auf ihre Fahnen. Sie hätten sowohl Armee wie Polizei infiltriert.

Der Anschlag in Khost kommt zu einem Zeitpunkt, als die Nato im Begriff war, den von ihr verkündeten Stopp gemeinsamer Patrouillen wieder zu lockern. Als Reaktion auf die Häufung der "Green-on-blue"-Anschläge hatte man gemeinsame Aktionen im Rahmen des "Partnering" vor knapp zwei Wochen zunächst eingefroren. "Partnering" wurde von US-Strategen immer wieder als wichtiges Übergangselement herausgestellt, das nun bedroht würde, wie etwa der Chef des amerikanischen Generalstabs (U.S. Joint Chiefs of Staff) die Insider-Attacken kommentiert.

Frust und Misstrauen unter den Nato-und US-amerikanischen Streitkräften wachsen. Es gebe eine Krise zwischen den Afghanen und ihren Verbündeten, sagen Beobachter: "Sie prüfen die Distanz zwischen ihnen und den Afghanen. Wo sollen die Waffen auf der Basis gereinigt werden? Wo soll man essen? Wo schlafen? Wie nahe darf ich einem afghanischen Polizisten oder Soldaten kommen?"

Stellt man diesen Ausschnitt aus der Realität der internationalen Schutztruppe den Absichten und Vorhersagen der westlichen Politiker gegenüber, die vor elf Jahren geäußert zu Beginn der militärischen Befreiung Afghanistans gegenüber, so sieht man eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Auch für diese Kluft könnte man den Begriff des Generals John Allen verwenden: Sie ist zur "signature" für Interventionen geworden, die vor allem auf militärische Stärke setzen, auf westliche Überlegenheitsideen, ungestört von Orts-und Menschenkenntnis.