Rente: Popanz Demografie

Die Rente könnte sicher sein, denn die Erwerbsbevölkerung war selten größer als heute und die Produktivität nimmt weiter zu

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Haben wir ein Demografie-Problem? Angesichts der hektischen Scheinaktivitäten der Bundesregierung könnte man meinen, dass dem so ist. Das unbestreitbare Altern der Gesellschaft ist mal wieder in aller Munde. Aber ist es tatsächlich ein Grund zur Sorge?

Längst sind jedenfalls die Zeiten vorbei, als der seinerzeitige christdemokratische Bundesarbeitsminister (1982-1998) Norbert Blüm publikumswirksam Plakate mit der Botschaft "Die Rente ist sicher" klebte. Davon kann heute keine mehr die Rede sein. Seit Jahren müssen Rentner mal hier, mal da Abstriche hinnehmen und die Anpassung der Renten ist seit langem von der allgemeinen Einkommensentwicklung entkoppelt. Bereits seit Mitte der 1990er liegen die jährlichen Zuwächse oft unter einem Prozent und regelmäßig unter der Inflationsrate. 2004, 2005, 2006 und 2010 gab es sogar Nullrunden. Schließlich wurde auch noch das Renteneintrittsalter erhöht, aber für das große Heer der Niedriglöhner, Leiharbeiter und prekären Freiberufler ist ohnehin klar, dass dereinst ihre mageren Altersbezüge sie ohnehin zum Weiterjobben zwingen werden.

Zur Begründung für diese Politik, die Altersarmut spätestens ab der nächsten Generation wieder zur Regel machen wird, und die derzeit das Merkelsche Spardiktat auch den südeuropäischen Ländern aufzwingt, wird immer wieder auf die demografische Entwicklung verwiesen. Und das nicht erst seit gestern: Bereits gegen Ende der 1970er Jahre hieß es in Westdeutschland, dass schon bald immer weniger Junge für immer mehr Alte werden arbeiten müssen und dass das nicht gut gehen könne.

Dabei wurde und wird zweierlei übersehen (wobei bei einem Teil der Politiker und Lobbyisten wohl davon ausgegangen werden muss, dass es sich um eine gewollte Fehlleistung handelt): einerseits die reale Zusammensetzung der Gesellschaft, das heißt, insbesondere der Rückgang der Zahl der Kinder und Jugendlichen, und andererseits die wachsende Produktivität der Gesellschaft.

Bekanntlich kann man Geld nicht essen. Die Rentner leben also real nicht von gebildeten Rücklagen, sondern von der täglich geleisteten Arbeit anderer. Die eigentlich wichtige Größe ist daher die der Erwerbsbevölkerung, also - etwas grob überschlagen - die Zahl der Menschen zwischen 20 und 64. (Vorausgesetzt ist dabei natürlich, dass alle ausreichend in den Topf einzahlen, aus dem die Renten finanziert werden. Der oben erwähnte Ex-Minister wies kürzlich in einem Gastbeitrag im Berliner Tagesspiegel darauf hin, dass das eigentliche Problem der Rentenversicherung darin besteht, dass nicht mehr genug einzahlen und Niedriglöhne natürlich auch zu Niedrigbeiträgen führen.)

Wichtig ist dabei, dass die Gesamtheit der Arbeitenden nicht nur die Rentner ernährt, sondern auch die Kinder und Jugendlichen. Und an dieser Stelle ist ein Blick in die Bevölkerungsdaten der Statistiker erhellend. Personen zwischen 20 und 64 machen nämlich 2012 61 Prozent der Bevölkerung aus. Das ist fast rekordverdächtig und deutlich mehr als Anfang der 1970er Jahre. Damals gab es zwar weniger Rentner als heute, aber wesentlich mehr Kinder und Jugendliche. 30 Prozent waren unter 20 Jahren, nur 56 Prozent zwischen 20 und 64. Dennoch konnten seinerzeit mehrmals hintereinander die Renten im unteren zweistelligen Bereich angehoben werden.

Die bisherigen Kürzungen haben also nichts mit der demografischen Entwicklung zu tun, sondern eher mit dem Bestreben die Beiträge zur Rentenversicherung und damit die Lohnkosten der Wirtschaft niedrig zu halten. Sie sind ein Baustein der allgemeinen Umverteilung des Volkseinkommens, die in den letzten zwei Dekaden durchgeführt wurde, und dazu geführt hat, dass inzwischen 20.000 Familien über fast ein Viertel des deutschen Privatvermögens verfügen.

Nun können Verfechter der Demografie-These aber immerhin darauf verweisen, dass der Anteil der Erwerbsbevölkerung in den nächsten Jahrzehnten relativ rasch sinken wird. Nach den Projektionen der Statistiker wird ihr Anteil an der Bevölkerung – konstante Geburtenrate und eine jährliche Nettozuwanderung von 100.000 vorausgesetzt – im Jahre 2031 nur noch 54 Prozent betragen und danach weiterhin, aber langsamer abnehmen.

Ist also ein Wohlstandverlust unvermeidbar? Wohl kaum, denn natürlich nimmt zugleich die Wirtschaftsleistung pro Beschäftigtem zu. Nach Angaben der Bundesamtes für Statistik stieg zum Beispiel in den 20 Jahren von 1991 bis 2011 die Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen um insgesamt 22,7 Prozent und je geleisteter Erwerbstätigenstunde sogar um 34,8 Prozent. Was also 1991 von 100 Arbeitern in einer Stunde geschafft wurde, kann heute von 66 Arbeitern erledigt werden.

Oder anders ausgedrückt: 1970 haben 56 Beschäftigte für 14 Rentner sowie 30 Kinder und Jugendliche gesorgt. Wieso soll es da angesichts des großen Produktivitätszuwachses ein Problem sein, wenn im Jahre 2031 54 Beschäftigte für 29 Rentner sowie 17 Kinder und Jugendliche sorgen müssen?