"Wir wollen ihn wieder"

Die Treue der Guttenberg-Fans zu ihrem Kultpolitiker verrät einen irritierenden Wunsch nach einer Führerfigur

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Nach etwa fünfhundert Kommentaren, die ich auf Wir wollen Guttenberg zurück gelesen habe, wurde mir klar, dass es sinnlos ist, die Guttenberg-Anhänger nach einem Grund für ihr Begehren zu fragen. Offensichtlich war es ein unbewusstes Verlangen, das sie antrieb. Erklärungen blieben zum großen Teil aus, stattdessen hieß es immer nur: "Wir wollen ihn wieder". Rechtfertigte doch einmal ein Guttenberg-Fan seine Begeisterung, erschöpfte sich die Erklärung meist darin, dass es sich um einen "begnadeten Politiker" handle. Manche verstiegen sich gar zu der Behauptung, er sei ein besonders aufrechter und ehrlicher Politiker, was angesichts der Affäre, die ihn zu Fall brachte, zumindest erstaunt.

Statt Argumenten bevorzugen viele Facebook-Fans pauschale Beschimpfungen von Linken, Grünen, SPD, den Medien und sind offensichtlich nicht willens oder in der Lage zum Beispiel das politische Profil von Zeitungen wie der Bild und der FAZ zu unterscheiden. Das bedeutet, dass je nach der konkreten Sachfrage beispielsweise die FAZ auch einmal dem linken Lager zugeschlagen wird, das eine "Hetzkampagne" gegen Guttenberg inszeniert, oder auch eine "Hexenjagd". Auf der anderen Seite kann auch die Bild-Zeitung zum Teil der Anti-Guttenberg-Verschwörung werden, wenn sie nicht dem Ideal der Fans entsprechend Guttenberg lobt - oder auch die Facebook-Gruppe nicht erwähnt.

Das Bild der "Hetzkampagne" wird häufig bemüht, und die Tatsache, dass Guttenberg ja unabhängig davon betrogen und gelogen hat, nicht anerkannt oder verdrängt. Damit verbunden ist der Gedanke, es sei ja so typisch für Deutschland, dass ein Politiker, der einmal aufrecht ist/die Wahrheit sagt [sic]/Rückgrat beweist, von den Linken/den Medien zu Fall gebracht wird. Konkrete Fragen nach den politischen Leistungen Guttenbergs blieben von seinen Fans stets unbeantwortet.

In ähnlicher Weise suchen die Guttenberg-Anhänger die Schuldigen in der Universität Bayreuth, fordern gar einen "Lizenz-Entzug". Der Doktorvater und die Gutachter sollen zur Verantwortung gezogen werden, als könne das die Vergehen Guttenbergs wieder gutmachen.

Die Facebook-Gruppe der Gegner – Wir wollen Guttenberg nicht zurück - besitzt nur ein Zehntel der Fans wie die der Befürworter, wie die Guttianer gerne schadenfroh betonen. Seine Gegner zeichnen sich dafür durch mehr Humor aus, sie müssen auch nicht mehr für eine Sache kämpfen, seit Guttenberg zurückgetreten ist. Ironie ist häufig das Mittel ihrer Wahl:

"Kunden, die "Karl-Theodor zu Guttenberg" zurückwünschen, wünschen auch Folgendes zurück: die D-Mark, die Mauer, Internet Explorer 4" (Anna Pyng)

Die interessante Frage ist, wieso so viele Menschen offensichtlich die Realität verdrängen und sich so sehr die Rückkehr von Guttenberg in die Politik, ja sogar ihn als Kanzler wünschen. Ich denke, man kann aus dem Buch "Der Hitler-Mythos" von Ian Kershaw hierzu einige Erkenntnisse gewinnen, ohne einen Vergleich zwischen Hitler und Guttenberg selbst zu ziehen. Auch Kershaw stellt in den Mittelpunkt ja weniger Hitler als vielmehr eine bestimmte Verfassung der deutschen Volksseele, die eine Führerfigur braucht. Ein solches metaphysisches Konstrukt ist schwer vorstellbar und vor dem Hintergrund der modernen Wissenschaft auch nicht erklärbar, dennoch zeigt es ein hohes Maß an Plausibilität. Ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, kann man wohl behaupten, dass der Untertitel des Buchs "Führerkult und Volksmeinung" hier zwei wesentliche Punkte des Phänomens anspricht:

"Der blinde Glaube seiner engsten Gefolgschaft, aber auch das verbreitete Verlangen nach politischem "Führertum" und ein Kompensationsbedürfnis angesichts ideologischer Verwirrung bot die Grundlage für die Konstruktion einer alles überragenden Führerfigur." ( Quelle)