Bye, bye Berlusconi?

Selbst seine eigene Gefolgschaft steht nicht mehr hinter dem vorbestrafen Egomanen. Doch der Berlusconismus wird auch ohne ihn weitergehen

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Jahrelang wurde das politische Ende des langjährigen italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi immer wieder prophezeit und von vielen regelrecht herbeigesehnt. Bezeichnenderweise hieß ein kurzzeitig populärer Film aus dem Jahr 2006 Bye, bye, Berlusconi. Damals war die von dem Medienunternehmer geführte Rechtsregierung wieder einmal abgewählt worden und das linke und liberale Italien hoffte, dass es nun vorbei ist mit Berlusconi. Doch sie sollten sich irren.

Bei den nächsten Wahlen war Berlusconi wieder am Ruder und so schien es immer weiter zu gehen. Die heterogene italienische Opposition schien keinen Modus gefunden zu haben, um das rechte Stehaufmännchen in Rente zu schicken. Erst als sich der alternde Politiker mit der EU anlegte und mal den Austritt Italiens aus der Eurozone und dann den Ausschluss Deutschlands aus dem Euro forderte, wendete sich das Blatt.

Ausgerechnet der Musterkapitalist Berlusconi, der mit seiner wirtschaftsliberalen Agenda die italienische Gesellschaft umkrempelte, wurde nun in der EU als Gefahr für die Märkte bezeichnet. Hier zeigt sich deutlich, was passiert, wenn jemand im Namen des Staates ein individuelles kapitalistisches Interesse rücksichtslos durchsetzen will und dabei den Staat nicht mehr als ideellen Gesamtkapitalisten wahrnehmen kann. In Italien fiel der Justiz zunehmend diese Rolle zu.

Sie ermittelt seit der Anfangszeit von Berlusconis Regierung, doch erfolgreich war sie erst, als dem Egomanen die Gunst der Märkte bzw. der EU entzogen worden waren. Daher war seine erste rechtskräftige Verurteilung nur konsequent. Da damit auch der Ausschluss aus der aktiven Politik verbunden ist, könnte der optimistische Filmtitel von 2006 sieben Jahre später nun Wirklichkeit werden,

Regierung oder Berlusconi am Ende?

Seit Wochen kämpft Berlusconi nur noch darum, diesen Ausschluss aus der aktiven Politik zu verhindern. Dabei geht es nicht um finanzielle Pfründe, die für den schwerreichen Kapitalisten keine große Rolle spielen. Vielmehr stehen weitere Gerichtsverfahren gegen ihn an und dann könnte nicht mehr ein Hausarrest in einer seiner Luxusvillen, sondern eine Gefängniszelle auf ihn warten.

Anders als die prominenten Politiker aus der Vor-Berlusconi-Ära wie Craxi, die in den 1990er Jahren vor dem Antritt ihrer Haftstrafen nach Nordafrika flohen, sind die Regime gestürzt, die Berlusconi vor den Zugriff der Justiz schützen könnten. Daher hat Berlusconi vor wenigen Tagen genau das Szenario ausgelöst, über das seit Wochen spekuliert wurde. Er hat die Minister seiner Rechtspartei Volk der Freiheit zum Austritt aus der Regierung aufgefordert, die damit ihre Mehrheit verliert.

Der offizielle Grund für diesen Schritt war die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 21 auf 22 Prozent. Damit sollte die Demission der Minister als Aktion im Interesse der Bevölkerung verkauft werden. Doch es ist fraglich, dass dieser populistische Trick noch zieht. Auch für viele italienische Medien ist klar, dass hier ein verurteilter Politiker Sonderrechte einfordert. Am kommenden Freitag will der Immunitätsausschuss des italienischen Senats über den Verlust seines Mandats endgültig entscheiden.

Wenn nun aber hiesige wirtschaftsnahe Medien wie das Handelsblatt moralinsauer das unverantwortliche Handeln Berlusconis anprangern, wird die Angst deutlich, dass die von Deutschland diktierte Austeritätspolitik wieder einmal zur Debatte steht. Solche Töne aus Deutschland können Berlusconi nur nutzen, weil er dann zumindest seine Anhänger wieder um sich sammeln kann, wenn er vermeintlich gegen ein Deutsch-Europa noch einmal in die Wahlschlacht ziehen will.

Denn auch Parteikollegen sind mittlerweile nicht mehr so überzeugt, dass sie mit Berlusconi weiterhin auf Erfolgskurs sind. Selbst einige der Minister aus Berlusconis Partei haben schon angedeutet, dass ihnen ihr Posten wichtiger ist als die Nibelungentreue zu ihren Vorsitzenden. Das könnte sich bereits am Mittwoch zeigen, wenn der italienische Ministerpräsident Letta im Parlament die Vertrauensfrage stellt. Sollten Abgeordnete und Minister aus der Berlusconis Partei für ihn stimmen, würde es eine erneute Spaltung geben. Das wäre an sich nichts Neues.

Im letzten Jahrzehnt gab es in der italienischen Rechtskoalition immer wieder solche Trennungen, die spektakulärste war die zwischen Berlusconi und dem Postfaschisten Fini. Gerade bei rechten Bewegungen, die kritiklos auf einige Führungsfiguren eingeschworen sind, sind Spaltungen schnell vollzogen, wenn dann doch mal Kritik aufkommt.

Bisher konnte Berlusconi aus diesen Spaltungen immer gestärkt hervorgehen, weil er sich als Siegertyp inszenierte. Das hat sich seit einem Jahr geändert, daher könnte eine erneute Spaltung in Berlusconis Partei sein Ende einleiten. Denn mit einem Verlierer will man denn doch gerade in rechten Kreisen nicht gemeinsam untergehen. Selbst in seinem engsten Umfeld scheint man ein Scheitern in Italien in Erwägung zu ziehen. Schließlich sondiert Berlusconi nach Presseberichten bereits für eine Kandidatur bei den Eurowahlen in Estland.

Berlusconismus bleibt

Spaltungstendenzen könnten sich allerdings bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage für die italienische Regierung auch bei der Grillo-Bewegung vertiefen. Auch dort wächst die Zahl der Abgeordneten, die dem Kurs von Grillo nicht mehr bedingungslos folgen wollen. Grillo und seine Gefolgsleute betrachten sämtliche anderen Parteien als Teil eines korrupten Kartells, das verschwinden soll. Deswegen haben sie auch eine Kooperation mit Teilen des linksreformistischen Spektrums gegen die Berlusconi-Rechte bisher abgelehnt.

Doch in der heterogenen Grillo-Bewegung gibt es an dieser Linie immer mehr Kritik. Manche sehen schon in Grillos autoritären Führungsstils Parallelen zum Kurs von Berlusconi. Selbst wenn Berlusconi nun endgültig in der italienischen Innenpolitik keine Rolle mehr spielen sollte, so wird doch der Berlusconismus noch weiterhin bestehen bleiben.

Schließlich ist es ihm und seiner Rechtskoalition im letzten Jahrzehnt erfolgreich gelungen, die Überreste der alten Arbeiterbewegung, aber auch der sich um 2000 neu entstandenen sozialen Bewegungen zu dezimieren. Die Linke in und außerhalb des Parlaments spielt heute keine Rolle mehr. Stattdessen wurde Italien erfolgreich in eine atomisierte Gesellschaft von Kleinunternehmen verwandelt, wo der Egoismus triumphiert und Solidarität als hoffnungslos altmodisch diskreditiert ist.

Der Kampf gegen diese Erbschaft Berlusconis kann wohl in Italien erst dann aufgenommen werden, wenn der Namensgeber keine Rolle mehr spielt.