Fall Mollath: Psy-Ops oder einfach nur ein eigenwilliger Journalismus?

Nordbayerischer Kurier berichtet, Gustl Mollath wolle in den Bundestag

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Der Nordbayerische Kurier, der sich nach eigenen Angaben „extrem viel Zeit“ genommen hat, um den Fall Mollath journalistisch aufzuarbeiten, hat am vergangenen Montag berichtet, dass „Bayreuths bekanntester Psychiatriepatient“ in den Bundestag will. Im Lead des Artikels heißt es: „Gustl Mollath will für den Bundestag kandidieren.“ Mollath werde, so der Kurier, im Wahlkreis 216 in Fürstenfeldbruck antreten. 200 Unterschriften brauche der Zwangspsychiatrisierte für eine Direktkandidatur, für die die Frist am 17. Juli um 18 Uhr ablaufe.

Nur: Mollath wusste von all dem nichts.

Doch der Nordbayerische Kurier hatte für die exklusive Meldung eine offenbar als verlässlich betrachtete Quelle, nämlich den Anwalt Helmut P. Krause.

Dieser, so geht die Geschichte weiter, habe Mollath in der forensischen Psychiatrie angerufen und in dem Gespräch habe Mollath den Anwalt angewiesen, „alle Hebel in Bewegung zu setzen“, um das große Vorhaben umzusetzen.

Der Nordbayerische Kurier informierte seine Leser, dass Krause die Internetseite „Vereinigte Direktkandidaten“ betreibe. Krauses Anliegen sei es, „unabhängige Kandidaten“ für den Bundestag zu finden. Außerdem wolle der engagierte Anwalt die Internetseite von Mollath, die derzeit gustl-for-help heißt, in gustl-for-kanzler umbennen.

In der Süddeutschen Zeitung (SZ) konterte Mollath auf den eigenwilligen Artikel des Nordbayerischen Kurier mit den Worten: „Frau Merkel muss keine Angst vor mir haben“. Außerdem sagte er der SZ: „Schön, dass ich auch davon erfahre.“ Die Süddeutsche nannte darauf hin den Artikel im Nordbayerischen Kurier eine Zeitungsente. Auf dem Blog Ein Buch lesen hat sich Ursula Prem der merkwürdigen Meldung um Mollaths angeblicher Kandidatur für den Bundestag angenommen.

Sie schreibt:

"Am vergangenen Freitag erhielt ich einen Anruf Gustl Mollaths aus dem BKH Bayreuth. Er berichtete, er sei von einem ihm unbekannten Rechtsanwalt namens Helmut Krause kontaktiert worden, der ihm antrug, als Direktkandidat für die nächste Wahl zum Deutschen Bundestag anzutreten. Alles Notwendige hierfür werde er, Krause, für Mollath in die Wege leiten, wenn dieser ihm hierfür nur eine Vollmacht erteile. Hierzu sagte Mollath mir gegenüber, dass er selbstverständlich niemandem eine Vollmacht erteilen könne, den er überhaupt nicht kenne, er aber gerne mehr über die Sache wissen würde. Er bat mich also, mich diesbezüglich schlauzumachen und ihn über Ziele und Ausrichtung des Herrn Krause zu informieren."

Prem schildert weiter, wie sie Kontakt mit dem Anwalt aufgenommen und dieser dann ihre Email in einem Forum ohne ihre Einwilligung veröffentlicht habe.

In ihrem Blog wirft Prem auch die Frage auf, wie es überhaupt zu der so raschen Berichterstattung des Nordbayerischen Kuriers kommen konnte.

Sie stellt in diesem Zusammenhang fest, dass bereits um kurz nach Mitternacht auf der Onlineseite des Nordbayerischen Kuriers der Artikel von Chefreporter Otto Lapp erschienen ist.

Und so stellen sich Prem drei Fragen:

1.

Ich selbst habe Google Alerts auf den Namen Gustl Mollaths abonniert. Eine Meldung über Krauses Forum und seine Aktion lieferte mir Google jedoch nicht.

Wie also hat der Nordbayerische Kurier derart schnell von der Sache erfahren?

Sollte Krause selbst Otto Lapp informiert haben, würde das seine offenbar üblen Absichten gegenüber Gustl Mollath unterstreichen, auf dessen Kosten der Nordbayerische Kurier schon seit geraumer Zeit seine Scherze treibt.

2.

Weitere Möglichkeit:

Kolportierte ein professioneller Telefonabhörer des BKH Bayreuth Krauses Anruf an den Nordbayerischen Kurier?

Dies wiederum würde ein bezeichnendes Licht auf die engen Verbindungen zwischen dem BKH und dem heimischen Provinzblatt werfen und manchen grottigen Seitenhieb von Otto Lapp nachträglich verständlich machen.

3.

Das denkbar übelste Szenario wäre die Vermutung eines abgekarteten Spiels:

Sollte Gustl Mollath auf diese Weise wieder einmal gezielt provoziert werden, wie schon am letzten Montag, als man ihn mit einer gefälschten Entlassungsanordnung konfrontierte?

Versteigt man sich in eine Verschwörungstheorie, wenn man, auch in Anbetracht der Beinahe-Freilassung von Mollath am 17. Juni, fragt, ob sich im Fall Mollath zunehmend Ansätze von Psy-Ops bemerkbar machen? Vermutlich. Vermutlich hat der Nordbayerische Kurier nur den Versuch unternommen, „echte“ Recherche anstelle von Interpretation zu setzen. Der Chefredakteur der Zeitung schreibt auf seinem Blog:

"Die Journalisten aber spielen in dieser völlig überhitzten Geschichte keine ruhmreiche Rolle ... Die Berichterstattung der Medien in der Causa Mollath ist ebenfalls Verdachtsberichterstattung. Und noch dazu eine sehr ungenaue und manipulative. Dabei wird vielfach Interpretation als Recherche verkauft."

Doch jenseits von eigenwilligen Journalismus, der offensichtlich ernsthaft glaubt, ein Psychiatrie-Patient habe derzeit nichts anderes zu tun, als seine Kandidatur für den Bundestag vorzubereiten, hat der Fall Mollath in der realen Politik eine tatsächliche Bedeutung.

Die Auseinandersetzung damit, wie auf der tatsächlichen politischen Ebene mit der Causa Mollath umgegangen wird, dürfte für ein Medium, das sich Qualitätsjournalismus auf die Fahnen geschrieben hat, wohl wesentlich zielführender sein, als über vermeintliche politische Ambitionen von Gustl Mollath zu berichten.