Viele Schwangerschafts­­abbrüche bei Leistungs­empfängerinnen

Die Diskussion über die "Gratispille" für Hartz-IV-Empfänger, die in manchen Bundesländern geführt wird, wirft ein anderes Licht auf steigende Geburtenzahlen als das Gerede von "Frauen der Unterschicht, die ihre Schwangerschaften als Kapital ansehen".

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Der Soziologieprofessor im Ruhestand, Gunnar Heinsohn, hat in seinem Gastbeitrag für die Faz ein Gerücht aufgefischt und als sozialpolitisches Gesetz aufgetischt:

"Solange die Regierung das Recht auf Kinder als Recht auf beliebig viel öffentlich zu finanzierenden Nachwuchs auslegt, werden Frauen der Unterschicht ihre Schwangerschaften als Kapital ansehen."

Die Erkenntnis Heinsohns wirft einen zynischen und diffamierenden Blick (siehe Das unwerte Hartz IV-Leben) auf Lebensverhältnisse von Ärmeren, die ihm vermutlich wenig vertraut sind. Das Argument, das er mit Hinweis auf den amerikanischen Ökonomen Charles Murray und dessen Studie "Losing Ground" begründet, unterstellt, dass es Frauen aus armen Schichten vielfach darauf anlegen, den den (bequemen) Lebenserwerb als "Sozialhilfemütter" zu bestreiten.

Eine Unterstellung, deren Wahrheitsgehalt durch ständige Wiederholung nicht größer wird, wie Informationen des Spiegels zeigen. Das Magazin zitiert im Zusammenhang mit Diskussionen über Pläne, Hartz-IV-Empfängern in manchen Bundesländern eine Gratisverhütung zu ermöglichen, die Beobachtung von Fachleuten, wonach die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche genau in jenem Milieu sehr hoch ist, dem Heinsohn gegenteilige Motive mit ihrer Schwangerschaft unterstellt:

"Unter Fachleuten gilt als sicher, dass durch eine Gratisverhütung auch die Zahl der Abtreibungen weiter gesenkt werden könnte. Zwar ist der Zusammenhang zwischen Armut und Schwangerschaftsabbrüchen nicht durch Studien belegt: Auffällig sei aber, berichtet die Soziologin Helfferich, dass die Zahl der Abbrecherinnen unter Frauen mit Migrationshintergrund - oft Leistungsempfängerinnen - überdurchschnittlich hoch ist. So trieben Türkinnen jede fünfte Schwangerschaft ab, Frauen mit osteuropäischer Herkunft sogar in jedem dritten Fall."

In Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Berlin beraten Regierung "bereits über die Gratispille", heißt es in dem Bericht. Sie stellen sich die Frage komplett andersherum als Heinsohn:

"Hat Hartz IV dazu beigetragen, dass in Deutschland Tausende Frauen Kinder auf die Welt brachten, die sie eigentlich nicht haben wollten?"

Laut Mitarbeitern von Beratungsstellen für Schwangerschaftsabbrüche sollen sie "gerade in Problemvierteln" regelmäßig mit Frauen zu tun haben, "die ihre ungewollte Schwangerschaft mit Geldnot begründen".