Verunglückte Demonstration der christlichen Toleranz

Eine selbstbewusste muslimische Ministerin scheint auch im "Zukunftsland Niedersachen" kaum ertragbar zu sein

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Kaum hatte der niedersächsische Ministerpräsident Wulff eine gute Idee und hat mit Aygül Özkan eine türkischstämmige Frau zur Sozialministerin erkürt, durchkreuzte diese den schönen Coup mit der Forderung, dass alle religiösen Symbole, also sowohl Schleier als auch Kruzifixe, aus den Schulen verbannt werden sollten. Schulen sollen ein neutraler Ort sein.

Ist eigentlich ganz vernünftig und sowieso verfassungskonform, aber das traf auf verbitterten Widerstand derjenigen, die irgendwie noch nicht in der Gegenwart angekommen sind und weiterhin glauben, unbedingt die christliche Tradition als Ursprung der westlichen Kultur, des Humanismus, der Wissenschaft und der Menschenrechte verteidigen zu müssen. Noch dazu vertrat Özkan – wie erstaunlich! – die Position, dass ergebnisoffene Verhandlungen mit der Türkei über den EU-Beitritt geführt werden müssten.

Wer eine selbstbewusste muslimische, schiitische Ministerin in Deutschland beruft, wird nicht davon ausgehen können, dass sie dem Profil der konservativen Deutschen entspricht. Zwar hat sich die Ministerin in spe schnell wieder von ihren Forderungen distanziert, weil Macht verführt, aber sie wurde nun offenbar schon Ziel von Morddrohungen, weswegen sie unter den Schutz des LKA gestellt wurde. Selbst die Bild schreibt nun: Morddrohungen gegen schöne Ministerin. Gleichwohl schoss Bilds Hugo Möller-Vogg den Vogel ab, als er die Zurückweisung der Forderung kommentierte: "Eines hat die erste türkischstämmige Ministerin offenbar nicht verstanden: Dass es bei uns so tolerant zugeht, das ist das Erbe unserer christlich-abendländischen Tradition." Ja, so tolerant sind wir, dass wir nichts neben "unserem" Erbe akzeptieren.

Unglaublich, sollte man meinen, dass die Trennung von Staat und Kirche in Deutschland von der Union nicht akzeptiert wird, die damit vor den radikalen Kräften der Realitätsverweigerung kuschen. So modern, wie Wulff die CDU machen wollte, ist sie schlicht noch nicht. Die CDU muss erst noch wenig erwachsener werden, um selbstbewusste Frauen, die noch dazu Musliminnen sind, ertragen zu können.

Nach den Attacken aus der eigenen Partei hat Özkan ihren Vorstoß inzwischen zurückgenommen und sich entschuldigt. Wie die Welt berichtet, sagte sie, sie habe das entsprechende Interview voreilig und ohne ausreichende Kenntnis des Landes Niedersachsen gegeben. Wulff sagte, die CDU freue sich über Kreuze in den Schulen, weil sie die Schüler nach christlichen Wertemaßstäben erziehen wolle. Özkan hätte dies "akzeptiert" und werde diese Politik mittragen. Damit sei das Thema für ihn erledigt. Für ihn schon, vielleicht auch für die CDU und Özkan, aber auf Dauer wird der Staat neutral werden müssen. Das Kruzifix im Klassenzimmer und anderen Behörden erinnert sowieso an die Bilder der Diktatoren wie Hitler, Mussolini oder Stalin, die zu ihrer Zeit überall sein mussten.

Dümmer als der CDU-Fraktionsvorsitzende David McAllister im "Zukunftsland Niedersachen" kann man wohl nicht argumentieren, der Intoleranz als Toleranz zu verkaufen sucht: "Ministerpräsident Christian Wulff, die designierte Sozialministerin Aygül Özkan und ich haben deutlich gemacht, dass das Niedersächsische Schulgesetz nicht geändert wird und Kreuze an niedersächsischen Schulen erwünscht sind. Das Kreuz ist aus Sicht der CDU ein Symbol der Toleranz auch gegenüber anderen Religionen. Die über das Wochenende entstandenen Irritationen und Missverständnisse sind damit ausgeräumt."