Opas Kino lebt wieder...

...zumindest in Venedig ist es für einen Tag von den Toten wiederauferstanden: Darren Aronofsky gewinnt mit "The Wrestler" den Goldenen Löwen

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Diesmal gab es kein Happy End am Lido. Erst vor zwei Jahren hatten kluge Entscheidungen der Jury unter Präsidentin Catherine Deneuve einen schwachen Wettbewerb zum glücklichen Abschluss gebracht, und damit unter anderem Festivalboss Marco Müller die Haut gerettet. Diesmal, nach dem schwächsten Wettbewerb seit mindestens zehn Jahren, gelang Wim Wenders kein ähnlicher Coup - wohl auch weil dieser Regisseur selbst, wenn man ehrlich ist, in den letzten 20 Jahren nicht einen Film gedreht hat, der das Kino auch nur um Zentimeter voran gebracht hätte.

Mit überaus sicherer Hand hat die Jury um Wenders - nur im Fall der Argentinierin Lucretia Martel unter 50 Jahre alt - jene Filme ausgezeichnet, aus denen Publikum und Professionelle noch während der Vorstellung in Scharen geflohen sind. Die Preise in diesem Jahr gingen durchweg an ein altmodisches Kino, ein Kino, dass ästhetisch schon nicht mehr gegenwärtig ist, noch das es Zukunft hätte.

In dem Fall, wo Werke eindeutig der Vergangenheit angehören, wie die Auszeichnung fürs Lebenswerk an Werner Schroeter, Wenders alten Kumpel aus den 70er Jahren, den guten Zeiten des Neuen Deutschen Films, mag das noch Sinn machen. Weit schlimmer wiegen die Werke aus dem Niemandsland wie der äthiopische Film "Teza" von Halle Garima. Es ist ein Treppenwitz, der allerdings viel über diese Jury verrät, dass der - deutsche - Produzent dieses Films noch während des Festivals erzählte, er wüsste schon "welche 40 Minuten aus dem Film noch herausgeschnitten werden müssen". Die Jury sah offenbar keine Probleme.

Ähnlich auch die Auszeichnung für "Papier Soldier" von Aleksey German Jr. Es ist bekannt, dass dieser Film sowohl von der Berlinale wie vom Festival in Cannes rundheraus abgelehnt wurde - das muss nichts heißen, doch die Premiere bestätigte alles, was manche schon vor dem Festival an dieser Entscheidung kritisiert hatten. Dieses öde, dialoglastige, von Altherrenhumor triefende Kammerspiel über die fehlgeschlagenen russische Weltraumversuche macht allenfalls anschaulich nachvollziehbar, warum es die Russen in den 60ern nicht auf den Mond geschafft haben.

Der einzige noch halbwegs akzeptable Preis ist der Goldene Löwe für Darren Aronofsky und "The Wrestler" - übrigens die erste Auszeichnung für einen amerikanischen Film seit 1993, als Robert Altman mit "Short Cuts" gewann. Auch dieser handwerklich solide Film lebt vom Charme der Nostalgie. In dem in den frühen 80ern angesiedelten Werk spielt Mickey Rourke einen alten Showringer, der seinen Job aus gesundheitlichen Gründen an den Nagel hängen und sein Leben ändern muss. "Honi soit qui mal y pense" - vielleicht konnte sich Wenders mit diesem Mann, der längst seine eigene Legende ist, identifizieren. Jedenfalls beweist der Hamburger Filmprofessor, der einst mit dem Slogan "Opas Kino ist tot" angetreten war, spätestens mit dieser Entscheidung, dass er selbst zur Großvätergeneration gehört. So ändern sich die Zeiten.

Die traditionsreiche Mostra, das älteste Filmfestival der Welt, betreibt mit einer solchen Auswahl von Filmen und Jury allerdings ihre Selbstabschaffung. Schon in diesem Jahr fehlten viele Vertreter der Branche, und die italienische Presse beschrieb - wenn auch gewiss oft von Eigeninteresse motiviert - ziemlich präzis die Schwächen des Festivals unter Leiter Marco Müller:

"Nie zuvor gab es so viel Unmut und Kritik." schimpfte etwa der einflußreiche Paolo Mereghetti, "Das Programm scheint unter Müller seinen Kompass verloren zu haben. Es fehlt ein tieferer Sinn des Festivals, eine 'raison d'etre'. Weder bedient man den Markt, noch formuliert man offen eine Alternativvision. Von allen großen Festivals ist Venedig das sterilste, unfähig zu klarem Geschmack und Stil." Genau dies, eine eigene, erkennbare Haltung, ist es aber, die neben rein ökonomischen Zwängen, die hier aber auch nicht bedient werden, überhaupt die Daseinsberechtigung eines Festivals ausmachen.