Eine arabische Front liegt im Westen

Ehrenamtliche Helfer aus Europa liefern Wissen und alte Modems an die Aktivisten der arabischen Rebellion. Westliche Firmen verkaufen Überwachungsprodukte an die Staatslenker

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Wenn in den Nachrichten herzzerreißende Videos über die arabische Rebellion in Syrien, Tunesien oder Ägypten auftauchen, dann arbeiten europäische Netzaktivisten im Hintergrund. Denn nur durch ihre Arbeit gelangen diese brisanten Inhalte durch die Internetfilter der Diktatoren. Europäische und amerikanische Überwachungsfirmen sind oft mitverantwortlich, wenn ausländische Journalisten oder solche Netzhelfer gefoltert werden und sterben. Die ausländischen Werkzeuge helfen, sie zu finden - in Echtzeit.

Der Krieg der Diktatoren zieht also längst auch in unserer Gesellschaft eine Front. Laut dem Wirtschaftsdienst Bloomberg liefern auch deutsche Firmen ihre Produkte an Syrien, Ägypten, Tunesien, Jemen und Bahrain, um deren Bevölkerung zu überwachen. Vorratsdatenspeicherung, Netzüberwachung und Schlimmeres ist ihr Geschäftsmodell. Die Branche firmiert unter dem sensiblen Wertebegriff der Sicherheit.

Aber der Tod von Aktivisten, Journalisten und tausenden Rebellen wäre ohne das Lokalisieren und Mitschneiden von Datenverkehr via Internet gar nicht möglich gewesen. Es stellt sich daher die Frage, wessen Sicherheit diese Firmen gewährleisten und ob wir im Westen dies weiterhin billigen können.

Der kürzliche Tod der Journalisten Marie Colvin und Rémi Ochlik könnte indirekt auf das Konto westlicher Überwachungstechnologien gehen. Der libanesische Geheimdienst hatte syrische Behörden bei Absprachen darüber belauscht, westliche Journalisten zu töten, wie die britische Tageszeitung The Telegraph berichtete. Das Satellitentelefon ist laut der Electronic Frontier Foundation offenbar die schwache Stelle vieler mutiger Berichterstatter. Denn die GPS-Daten, die diese Telefone aussenden, können mithilfe der Technik vieler Sicherheitsfirmen abgefangen und ausgelesen werden.

Auf der anderen Seite handeln Netzaktivisten wie die europäische Gruppe von Netzaktivisten namens Telecomix. Sie liefern auch unter Lebensgefahr Technik und Know-how an die Aufständischen, um ihnen die Chance zu geben, ihre Sicht der Dinge in der Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Sie hacken die Telekommunikationsnetze der Diktatoren oder schmuggeln alte Modems ins Land, mit denen sich die Rebellen einloggen in YouTube und Twitter, um die Wahrheit über die Kämpfe und die lokalen Zustände zu verbreiten.

Der bekannteste Aktivist von Telecomix ist der Deutsche Stephan Urbach, Mitglied der Piratenpartei. Seine Telefonnummer ist aus Syrien gar nicht erreichbar, wie er jüngst auf einem Vortrag in Oldenburg erklärte. Dort erzählte er vom Zweifel seines Vaters, der früher das Entstehen von Freundschaften per Internet kategorisch ausschloss. Nun sind viele von Urbachs Freunden, die er wegen der vielen Hilfsaktivitäten für die arabischen Freiheitskämpfer gewonnen hatte, tot oder verschollen in Foltergefängnissen. Die eine Seite unseres aufgeklärten, westlichen Wissens hilft denen, die ihre Geschichten in die Welt tragen, damit wir sie in der Tagesschau sehen können. Und die andere Seite unseres Expertentums hilft denen, die die Journalisten und Aufständischen liquidieren wollen.

Der republikanische Abgeordnete Chris Smith aus New Jersey brachte einen Gesetzentwurf in das US-Repräsentantenhaus ein, um amerikanischen Sicherheitsfirmen zu verbieten, ihre Hard- und Software an totalitäre Staaten zu verkaufen. Wie sie mit den Begehrlichkeiten der Staaten nach Kontrolle und Überwachung umgehen, sollen zumindest die börsennotierten Unternehmen in Form einer Due-Dilligence-Prüfung erklären. Leider gibt es ähnliche Aktivitäten in der europäischen Politikwelt bisher gar nicht.

Stephan Urbach hat die Konsequenzen aus dem einsamen Kampf der Aktivisten gezogen und lässt die Arbeit für Telecomix ruhen. Damit verlieren die Netzaktivisten und tausende Freiheitskämpfer einen der Wenigen, der glaubhaft einen Zusammenhang zwischen den Youtube-Videos aus Syrien, Ägypten und Tunesien und unseren Reden über Sicherheit und Freiheit im Web begründen könnte.