Portugal vor sozialer Explosion?

Ex-Ministerpräsident Soares warnt wegen der dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Lage davor, dass Empörung in Gewalt umschlagen könnte

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Der frühere portugiesische Ministerpräsident Mário Soares warnt, dass die Empörung im Land sich in Gewalt entladen könnte. Die graue Eminenz der Sozialisten hat am Dienstag in einem Beitrag für die Tageszeitung "Diário de Notícias" beklagt, dass Proteste bei der konservativen Regierung auf taube Ohren stießen. "Wer Wind sät, wird Sturm ernten", warnt er Ministerpräsident Pedro Passos Coelho. Dessen Regierung tue so, als sei nichts geschehen, meint Soares angesichts der Tatsache, dass am 2. März mit etwa 1,5 Millionen Menschen fast 15 Prozent der gesamten Bevölkerung für ein Ende der Sparpolitik demonstriert haben.

Er hofft, dass die "Unverschämtheit" der Regierung nicht länger andauert. "Wäre das der Fall, kann sich die Empörung gewaltsam entladen", warnt der 88-Jährige, der bis 1996 Staatspräsident war. "Die Regierung gehorcht nur Technokraten der Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank, den Finanzmärkten und Frau Angela Merkel", kritisiert Soares. Portugal verliere die Unabhängigkeit und sei ein "Protektorat" von "Wucherern". Die Sparauflagen ruinierten Portugal, die ihm mit den Hilfszahlungen in Höhe von 78 Milliarden Euro auferlegt wurden.

Soares sieht sich vom Nationalen Statistikinstitut (INE) bestätigt. Es gab am Montag bekannt, dass Portugal in der tiefsten Krise seit 37 Jahren steckt. Nach vorläufigen INE-Angaben ist die Wirtschaftsleistung 2012 um 3,2 Prozent geschrumpft. Im vierten Quartal ging das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Vergleich zum Vorjahresquartal sogar um 3,8 Prozent zurück. Seit 1974 linke Militärs mit der der Nelkenrevolution friedlich die Diktatur stürzten, war die Lage nicht mehr so dramatisch. Die Portugiesen verlieren wegen der Rekordarbeitslosigkeit von 17,6 Prozent jede Hoffnung. Die Quote ist bei den unter 25 Jährigen schon auf rund 40 Prozent explodiert.

Soares erwartet, dass die Regierung wegen des massiven Unmuts, der auch im Militär immer stärker wird , noch dieses Jahr über die eigene Politik stolpert. Das geschehe, wenn sie weiter verzweifelte Landsleute und die steigende Arbeitslosigkeit und die Rezession ignoriere und gegen alle Wahlversprechen ein treuer Vertreter der Sparpolitik bleibe.

Dass sich die Lage im Land zuspitzt, sieht offenbar auch die Troika ein. Aus verschiedenen Quellen ist zu vernehmen, dass sie Portugal erneut mehr Zeit für den Defizitabbau einräumt. Wie Irland soll auch Portugal mit der Rückzahlung der Hilfskredite erst viel später beginnen, um "Belastungsspitzen" zu vermeiden.

Eine Erleichterung bringt das nicht, denn mit der Verschuldung steigt auch die Zinslast. Sie ist im dritten Quartal 2012 auf gefährliche als 120 Prozent des BIP angeschwollen. Das ist schon doppelt so hoch, wie dies zweite Maastrichter Stabilitätsziel vorschreibt. Mit steigender Arbeitslosigkeit brechen Einnahmen von Finanzämtern und Sozialkassen ein, aber es steigen Ausgaben.

Das macht immer neue Sparpläne nötig, um das Defizit zu begrenzen, aber dadurch wird die Negativspirale weiter angetrieben und Portugal wie Griechenland in die Depression abrutschen. Die griechische Wirtschaft ist 2012 erneut um 6,4 Prozent geschrumpft, die Arbeitslosigkeit ist auf 27 Prozent explodiert. Auch bei der Jugendarbeitslosigkeit haben die Hellenen Spanien 2012 am Spitzenplatz abgelöst, denn in Griechenland sind es 60 Prozent ohne Job. Griechenland, Spanien, Portugal hoffen, dass sich 2014 etwas ändert und richten den Blick nach Brüssel. Die EU will bis 2020 sechs Milliarden Euro ausgeben, um die Beschäftigung junger Menschen zu fördern. Das Geld soll zur Hälfte aus dem Kohäsionsfonds und aus dem Sozialfonds kommen. Das wurde bekannt, bevor EU-Ratspräsident Herman van Rompuy konkrete Maßnahmen vorgestellt hat. Sie sollen auf der Frühjahrstagung des Europäischen Rates am Donnerstag und Freitag diskutiert werden.