Wer gegen den Kapitalismus ist, soll unamerkanisch sein

Die republikanischen Präsientschaftsbewerber bezeichnen die Anti-Wall-Street-Proteste als unamerikanisch und von Neid angetrieben. Das könnte in die Hosen gehen

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Die republikanischen Präsidentschaftsbewerber versuchen sich zu positionieren. Gerade hat der ehemals liberalere republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney, der allerdings in den eigenen Reihen als Mormone umstritten ist, durch starke konservative und nationalistische Töne deutlich gemacht, dass der Druck von rechts und von der Tea-Party-Bewegung stark ist ( "Amerika führt die frei Welt"). Nun hat der auch von Teilen der Tea-Party-Bewegung unterstützte Präsidentschaftsbewerber Herman Cain den Gang nach rechts noch einmal verstärkt.

Cain, ein studierter Mathematiker, ist als CEO der Fastfood-Kette Godfather's Pizza reich geworden, war auch schon einmal im Vorstand der Federal Reserve Bank of Kansas City, betätigt sich als Kommentator und Radiomoderator und ist auch religiös als Pfarrer aktiv in der Antioch Baptist Church North in Atlanta. Der schwarze Geschäftsmann, der schon mal 2000 kurz auf dem Weg zum Präsidentschaftskandidaten war und 2004 scheiterte, den Senatssitz von Georgia zu gewinnen, kam aufgrund seiner sehr konservativen Einstellung bei der Tea-Party-Bewegung bislang gut an. Er ist Anhänger des freien Marktes auch in der Sozialpolitik, sprach sich gegen die Erhöhung der Schuldengrenze aus, ist gegen Abtreibung und Homo-Ehen, tritt für eine starke Militärpolitik ein, hat sich gegen Termine für den Abzug der Truppen aus Afghanistan und dem Irak ausgeprochen, ist für unbedingte, auch militärische Unterstützung Israels, glaubt nicht an die Klimaerwärmung und lehnt die Förderung erneuerbarer Energien ab, ist natürlich gegen die Gesundheitsreform und hält einen scharfen Kurs gegen Einwanderer für richtig.

In einem Interview mit CBS machte Cain erneut deutlich, dass er von der Bewegung gegen die Wall Street, die immer weiter um sich greift, nichts hält. Tatsächlich haben die Liberalen, Demokraten und Linken mit dieser erstmals die Lähmung durchbrochen und eine Bewegung geschaffen, die eine Alternative zur Tea-Party-Bewegung ist. Gut möglich, dass einige der Empörten und Unzufriedenen, der Wutbürger, die zunächst bei der Tea Party untergeschlüpft waren, auf die andere Seite wechseln. Schließlich ist die Empörung bei den Rechten zwar gegen den Staat und das politische System gerichtet, aber sie kämpft auch für die Reichen und den unbedingten Erhalt des kapitalistischen Systems. Cain weiß um die Gefahr, die von der Occupy-Wall-Street-Bewegung ausgeht, die die Gier und die Kluft zwischen Arm und Reich kritisiert. Er hat sie schon mal als "unamerikanisch" bezeichnet. Jetzt wirft er ihr vor, sich als Opfer zu inszenieren und nur neidisch zu sein. Ein auch hierzulande bekanntes Argument, dass gerne gegen Kritiker mit dem Verweis auf die USA eingebracht wird, wo angeblich der auch unverhältnismäßige Reichtum neidlos anerkannt werde.

Hinter den Protesten stünden Gewerkschaften und diesen nahe Organisationen, meint nun Cain, obgleich diese erst einmal abgewartet haben, bis sie sich der Bewegung anschlossen. Sie seien inszeniert, um Barrack Obama zu helfen, obgleich von einer Unterstützung der Politik des Weißen Hauses eigentlich nicht die Rede sein kann, da sich in den Protesten eher die Frustration zum Ausdruck bringt, dass Präsident Obama zu wenig für die 99 Prozent des Landes macht, die die Occupy-Wall-Street-Bewegung vertreten will. Cain wiederholte den Vorwurf, dass die Proteste unamerikanisch seien, mit einer erstaunlichen Begründung, mit der man wohl nur in den USA hoffen mag, Punkte zu erzielen: Wenn man gegen die Wall Street protestiere würde man auch gegen den Kapitalismus protestieren, was für den reichen Unternehmer gar nicht angeht: "Das System des freien Marktes und des Kapitalismus sind die zwei Gründe, die es dieser Nation und dieser Wirtschaft ermöglicht haben, die weltweit größten zu werden. Auch wenn wir Probleme haben, so sind diese Proteste antikapitalistischer und stärker gegen den freien Markt als alles Andere." Wer den wild gewordenen Kapitalismus kritisiert, soll also auch schon gleich unamerikanisch sein.

Für Cain ist denn auch Obamas Politik, nicht aber Wall Street schuld an den Problemen, auch wenn die Finanzkrise schon unter der Präsidentschaft von Bush begonnen hat. Das sind aber für die konservativen Populisten vernachlässigenswerte Fakten. Die Banker und Spekulanten der Wall Street hätten nicht wie Obama eine Billion Dollar verschleudert, meint Cain. Und überhaupt würden die Proteste eben auch aus dem Neid kommen. Und damit könne er nichts anfangen: "Meine Eltern haben niemals die Opferkarte gespielt." Cain hält am amerikanischen Traum fest, den er für sich realisieren konnte, aber viele Millionen Menschen eben nicht. Seine Eltern hätten nicht gesagt, dass die reichen Menschen weniger haben sollten, um selbst mehr zu haben, sondern die Vorstellung seines Vaters sei gewesen: "Ich will so hart arbeiten, dass ich einen Cadillac kaufen kann, aber nichts von anderen nehmen."

Der Interviewer wandte ein, dass die Menschen doch nicht nur neidisch seien, wenn sie beispielsweise keinen Job hätten und sie nicht sehen würden, wie es politisch weiter gehen soll. Für Cain ist es Neid, der einem "Klassenkampf" entspricht. Womit er wahrscheinlich auch nicht unrecht hat, schließlich wollen die Reichen, die auch die Tea-Party-Bewegung unterstützen, ihren Reichtum gegenüber den Losern verteidigen. Auch Newt Gingrich, ebenfalls ein Präsidentschaftsbewerber der Republikaner, sieht das alles unter der Perspektive des Klassenkampfes, der von Obama gegen die Reichen geführt werde. Die amerikanische Tradition sei hingegen, loszuziehen und hart zu arbeiten, um eine bessere Zukunft zu erreichen. Dahinter steckt wieder, dass das System nicht verändert werden darf und die Ideologie, dass es jeder schaffen kann, zum Millionär oder jetzt Milliardär zu werden. Der sich nur genug anstrengt, auch wenn man nur an den Börsen zockt, was weder sonderlich produktiv ist, noch besonders großer Anstrengung bedarf. Dass die US-Gesellschaft nicht nur von einer für westliche Gesellschaften außergewöhnlichen Kluft zwischen Arm und Reich gekennzeichnet ist, sondern auch durch eine geringe soziale Mobilität, ficht die rechten Ideologen nicht weiter an.

Gingrich sieht die Schuld für den aufkommenden Neid in den Bildungsinstitutionen und letztlich in den Intellektuellen, mit denen die Konservativen und Rechten traditionell auf Streitfuß stehen:

"Wir hatten eine Feindlichkeit gegen das freie Unternehmertum und, ehrlich gesagt, gegen das klassische Amerika in unseren akademischen Institutionen, was sich im Land verbreitet hat. Ich betrachte die Wall-Street-Demonstranten als ein natürliches Ergebnis eines schlechten Ausbildungssystems, das ihnen blöde Ideen gelehrt hat."

Ein Demonstrant erzählte CNN:

"Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind der Wendepunkt. Die Menschen wollen sich beteiligen und etwas tun, damit sich etwas verändert. Das ist fast so, als würden sie sagen: 'Ich will meinen amerikanischen Traum wieder zurück haben'."

Bislang war es sicher erschienen, dass die Rechte in den USA bei den Präsidentschaftswahlen gewinnen wird. Durch die einseitige Parteinahme und durch das Erstarken der Anti-Wall-Street-Bewegung könnte bis zur Wahl durchaus noch etwas in Gang kommen, allerdings ist Obama, solange er sich nicht deutlicher positioniert, nicht unbedingt der Profiteur.