Schlacht ums Urheberrecht

Die Kulturindustrie verteidigt mit Klauen und Zähnen ihr altes Geschäftsmodell. Dabei ist es längst überholt und auch durch ein Rollback nicht mehr zu halten

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Selten hat eine fünfminütige Wutrede in einem Spartenprogramm des Hörfunks () so viel öffentlichen Staub aufgewirbelt, wie die von Sven Regener, dem Teilzeitliteraten ("Herr Lehmann") und Macher der "Element of Crime".

Merklich Oberwasser

Seit dessen Furorsturm sehen sich die Verfechter des Urheberrechts wieder mächtig im Aufwind. Vor allem die Organe der "Kulturindustrie", Verlage und Medienkonzerne, die ihr Broadcastingmodell schon den Bach runtergehen sahen, sich als "Opfer" von bösen Filesharern und Netzgiganten ausgaben und seitdem mit "Leistungsschutzrechten" und "Abmahnungswellen" gegensteuern, fürchten zu Recht, die Kontrolle über Werke und Produkte zu verlieren. Sind Texte und Songs, Bilder oder Videos einmal im Netz, können sie millionenfach und in Minutenschnelle kopiert, auf Festplatten gehortet und kostenlos weitergereicht werden.

Reagierten Musiker, Künstler und Autoren davor bislang aus Angst, von den Usern durch Click- oder Kaufboykott abgestraft zu werden, eher kleinlaut, wenn sie zu Tauschbörsen oder den Bestimmungen zum "Schutz geistigen Eigentums" befragt wurden, so haben sie jetzt dank Regener neuen Mut geschöpft. Autoren, Künstler und Agenten publizieren seitdem nicht nur massig Aufrufe und Manifeste, um die Politik zu drängen, das Recht des Urhebers und seiner Rechtsnachfolger auf ihre Werke zu bewahren oder gar zu stärken. Landauf, landab hört und liest man nur noch von den Vorzügen, die dieses "Schutzrecht" der Kultur angeblich bietet.

Verlassen können sie sich dabei insbesondere auf die Massenmedien. Und da vor allem auf die Printmedien, die unter der Gratismentalität, die das Netz geschaffen hat, in den letzten Jahren sehr zu leiden hatten und die deswegen etliche Redaktionsteams verschlankt, Reporter entweder freigesetzt oder zu "freien Autoren" umfunktioniert haben.

Rollback

Dieses Rollback verwundert und überrascht zugleich! Insbesondere die Heftigkeit, mit der Autoren, Künstler und Verwerter ein Geschäftsmodell von vorgestern mit Zähnen und Klauen verteidigen. Dabei glaubte man in der Diskussion schon mal viel weiter zu sein. Zumal sich die verhärteten und ideologisch aufgeheizten Fronten in der letzten Zeit zunehmend aufgeweicht hatten und die Kontrahenten aufeinander zuzugehen schienen.

Von Diffamierungen und/oder Kriminalisierungen, die noch in dem Begriff der "Raubkopie" mitschwingen (als ob jemanden etwas "gewaltsam" weggenommen werde) hörte oder las man nur noch selten. Auch die Mär von der "Content-Mafia" kursierte mitunter nur noch in speziellen Foren. Auf beiden Seiten schienen die Hardliner, auch dank des rasanten Aufstiegs der Piraten ( Wenn Kunst und Kommerz sich küssen), weitgehend auf dem Rückzug.

Schließlich war der dramatisch gesunkene Wert von Rock und Pop schon akzeptiert, von den Produzenten ebenso wie von den Verwertern. Zwar sorgen Meldungen von Abmahnungserlösen, die Rechtsanwaltbüros gegenüber jugendliche Filesharern erzielen, weiter für Aufregung. Doch die meisten Musiker und Konzerne (wie die Atomindustrie auch) waren schon dabei, sich mit den "neuen Realitäten" abzufinden. Statt sich weiter über Filesharing und Gratismentalität zu ereifern und den Kampf gegen Windmühlen fortzusetzen, verhandelte man längst über Vergütungssysteme, Crowdfunding und Streaming-Dienste.

Und auch von Sopa oder dem Acta-Abkommen ( Das steckt hinter dem Acta-Streit), mit denen das Urheberrecht noch international durchgesetzt, der Handel mit gefälschten Artikeln eingedämmt und Copyright-Verletzungen besser und strikter, etwa auch durch Netzsperren, geahndet werden sollten, war seit den Proteststürmen, die dieses Ansinnen entfacht hatte, kaum noch die Rede. Das juristische Scheitern dieser Pläne ist den Medien jedenfalls nur noch eine Randnotiz wert.

Blütenkunde

Welche seltsamen Blüten das alte Urheberrecht, das noch aus den Hochzeiten des Buchdrucks stammt, immer noch treibt, und welche Wertschöpfungsketten sich mit Schutzfristen von immer noch 70 Jahren generieren lassen, veranschaulicht bereits ein Gang durch die hiesigen Buchhandlungen oder Warenhäuser, die man am besten an Weihnachten oder zu Jubiläums- oder Todestagen bekannter Autoren und Künstler durchstreift.

Im August etwa jährt sich zum fünfzigsten Mal der Todestag von Hermann Hesse. Wie den Prospekten zu entnehmen ist, plant der Suhrkamp Verlag eine Art "Hesse 10.0". Nochmals kann der geneigte Kunde und Leser mit der Literatur von Hesse ins malerische "Tessin" reisen, erneut darf er "Stufen" erklimmen, "Freude am Garten" empfinden oder den Kalender des nächsten Jahres mit dessen schlauen Sprüchen gestalten.

Gut ist das vor allem für seine Rechtsnachfolger und den Verwerter, in diesem Fall den Suhrkamp Verlag, der dank des bestehenden Urheberrechts Millionen damit umsetzt und einen Teil seiner mitunter erfolglosen Literatur finanzieren kann. Nur: wer braucht schon die x-te Auflage des "Demians", von "Siddharta" und der "Morgenlandfahrt", die alle paar Jahre in neuer Montur und Verpackung recycelt werden?

Ähnlich verhält es sich, wenn man in der Vorweihnachtszeit die Bookstores aufsucht oder bei Amazon das Sortiment durchstöbert. Ständig werden Kompilationen mit den größten Hits, digital aufgebesserte Versionen ehemaliger Erfolgsalben oder Box-Sets verstorbener Künstler oder längst aufgelöster Bands neu aufgelegt. Sie werden meist mit Demos, Live-Mitschnitten oder Bootlegs aufgehübscht, mit Bildchen und Statements angereichert, damit der Fan und Kunde, obwohl er vielleicht die Vinylausgabe, die CD oder das Songbook längst zu Hause in seinem Regal liegen hat, sich das das alles nochmals zulegt.

Nützliche Idioten

Dabei müsste eigentlich allen Betroffenen klar sein, dass die analogen Strukturen und Regelwerke, auf denen das Urheberrecht fußt, sich unter fortgeschrittenen digitalen Bedingungen nicht mehr halten lässt ( Es gibt kein Zurück ins echte Leben).

Das Manifest und die Unterschriftenliste, die der Literaturagent Matthias Landwehr jüngst gestartet und ins Netz gestellt hat, kann allenfalls als ein "Nachhutgefecht" betrachtet werden. Die Unterzeichner signalisieren darin nicht nur, dass sie die Realitäten der Vernetzung und Digitalisierung, die das Netz schaffen wird, nicht richtig verstanden haben. Sie halten auch weiter an einem Geschäftsmodell fest, das dank der rasanten Entwicklung der Netztechnologen und seiner Forcierer nicht mehr ins Morgen gerettet werden kann.

Neue Marktlage

Die Zeiten des Buchdrucks, Geburtsort des modernen Subjekts, sind unweigerlich vorbei. Der Markt hat sich radikal verändert. User und Nutznießer der Werke und Produkte haben mittlerweile eine zentrale Stellung eingenommen. Sie lassen sich nicht mehr gern bevormunden. Weder von Medienkonzernen noch von Verleger- oder Künstlersubjekten. Der gar weinerliche Ton, den so mancher jetzt an den Tag legt, ist zwar verständlich, aber alles andere als angebracht ( Telefonat mit einem griechischen Freund).

Dabei übersehen all jene, die sich jetzt etwas blauäugig vor den Karren der Verlagshäuser und Medienkonzerne spannen lassen, auf welche Weise sie längst ihrer "Anrechte" beraubt wurden und diese an die Verwerter veräußert haben. Mit der Unterzeichnung des von Verlagen diktierten "Leistungsschutzrechts" etwa haben sie alle weiteren Lizenzierungen, die fürderhin möglich sind, bereits an die Verwerter abgetreten. Der offene Brief, den der Kollege Matthias Spielkamp an den Chef des "Handelsblatts" verfasst hat, spricht diesbezüglich Bände.

Schlachtopfer

Bereits bei Karl Marx heißt es bekanntlich: "Das Sein prägt das Bewusstsein", die materielle "Tiefenstruktur" (Basis) die mentale "Oberflächenstruktur" (Überbau). Die "Produktionsbedingungen", lesen wir weiter bei Walter Benjamin im "Reproduktionsaufsatz", bedingen die "Entwicklungstendenzen" überhaupt aller "Kulturgebiete". Ändern sich Medientechnologien, ändern sich zuerst die Produktionsweisen, und später auch die Eigentumsverhältnisse.

Gewiss läuft diese "Umwälzung des Überbaus" laut Benjamin verglichen mit der des "Unterbaus" mit einer gewissen Zeitverzögerung ab. Die Revolution selbst lässt sich aber nicht aufhalten. In Abwandlung eines Satzes, den Paul Virilio einst formuliert hat, könnte man sagen: Die Kulturindustrie ist "das Sühneopfer der Hochtechnologie." Geschlachtet wird sie auf dem Altar eines freieren Zugangs und einer freieren Zirkulation.

Für den User und Nutznießer ist das gut so. Den Verwertern, die sich einst zwischen Autoren und Leser, Musiker und Hörer, Künstler und Konsumenten geschoben haben und danach Juristen fanden, die ihnen das Recht sicherten, selbstherrlich zu entscheiden, ob und wann, wo und wie lange ein Werk erscheinen darf, gefällt das selbstverständlich nicht.

Doch schon Bertolt Brecht, der sich gegenüber neuen Medientechnologien stets aufgeschlossen zeigte, dachte anders. Der Film etwa, meinte er, sei immer "das Werk eines Kollektivs". Dergestalt werde er die "bourgeoise Kunst" genauso abschaffen wie die Vorstellung, ein Autor kreiere ein ebenso originelles wie einzigartiges Werk. Gleichzeitig verschwände auch der Schein vom auratischen, irgendwie mit dem Religiösen verknüpften Werk. Schon deswegen sei die Vergesellschaftung der neuen Technologien für Kunst und Kultur zu einer "Lebensfrage" geworden.

Mitmachkultur

Gewiss schwang bei Benjamin und Brecht noch die Hoffnung mit, ein von Kollektiven geschaffenes Werk forme das Publikum zum Kollektiv um. Dieser Umschlag in Sozialismus hat sich jedoch, wie wir wissen, nicht bewahrheitet. Der Verwertungsgedanke sowie der Hang zur Autonomisierung und Individualisierung hat sich gegenüber dem Kollektivierungsanspruch als härter und stärker erwiesen.

Stattdessen haben sich aber zwei andere, durchaus revolutionäre Erwartungen, die Brecht und Benjamin an Radio und Film knüpften, durchgesetzt. Die digitalen Medien- und Netztechnologien beziehen ihr Publikum nicht nur ein, sie haben es auch sprechen gemacht. Aus dem passiven und entmündigten, sich bloß berieseln lassenden Konsumenten ist längst ein aktiver und mündiger Hörer, Zuseher und Anwender geworden. Einerseits.

Andererseits haben sie die Perspektiven von Sender und Empfänger, von Produzenten und Publikum symmetrisiert. Jeder kann heute selbst zum Künstler, Texter und Filmer werden und sein eigenes oder persönliches Kunstwerk schaffen. Kein Gatekeeper kann ihn fortan hindern, damit auf den Markt zu treten, um dort sein Werk feil zu bieten.

Dieser neue Produzent und Künstler hat nichts mehr mit dem bürgerlichen Künstler- und Geniesubjekt zu tun, zu dem ihn die klassische Kulturkritik einst erkoren hat. Die romantische Idee vom unverwechselbaren Schöpfersubjekt hat sich erschöpft. Im postromantischen Zeitalter wird er, getreu den Worten Sven Regeners, zum bloßen Freizeit- und Hobbykünstler. Fortan muss er wie alle anderen, die es ihm gleichtun, um Aufmerksamkeitsspannen buhlen, die aufgrund der Vielheit des Angebots und des steten Wechsels immer kürzer werden. Auch dazu gibt es eine Vorlauffigur.

Bloßes Anhängsel

Bereits Benjamin erschien der von Funk und Film entleibte "Mensch" nur noch als "fünftes Rad am Wagen seiner Technik". Für den Marxisten war sie genauso Organ wie für Ernst Jünger oder McLuhan. Die Technik war "extension of man", und damit zugleich Agenda und Mittel zur Einebnung des Unterschieds von Mensch und Technik, von mechanischer und organischer Welt.

"Medien bestimmen unsere Lage", kann gut eineinhalb Jahrhunderte post Marx Friedrich Kittler von Freiburg aus formulieren, "sie definieren, was wirklich ist". Weil die Medienevolution längst eine nächste Stufe erreicht hat, sind das nicht mehr Funk und Film, TV oder Telefon.

Ein computergestütztes, Daten global verarbeitendes Netzwerk, schreibt Kittler, hat uns einen "Medienverbund" beschert, der nicht nur alle Einzelmedien integriert und abschafft, sondern auch noch das Fantasma vom selbstbestimmten Subjekt. Fortan "zählen nicht mehr Botschaften und Inhalte", die "menschliche Seelen" empfinden und uns mitteilen, sondern "einzig ihre Schaltungen".

Wie Don Quichotte

Doch Kittler, der "kuriose Medienphilosoph", wusste auch: Solange es die "Kulturindustrie" noch gibt, gibt es Unterhaltung, gibt es "Gespenstererscheinungen", gibt es "Gespensterdiskussionen". Sie werden just dann aktiviert, wenn Verluste drohen, der von Macht und Einfluss etwa, oder der von Jobs und Kapital. Dann wird das Wehklagen über "böse Geister" besonders laut.

Sie anzurufen, hat aber noch selten geholfen. Das erinnert an Don Quichotte und seinen Kampf gegen Windmühlen. So wie einst die Elektrifizierung der Eisenbahn den Heizer, die Erfindung des Tonfilms die Musiker und das Desktop Publishing den Buchdrucker oder klassischen Buchbinder überflüssig machte, genauso drohen jetzt auch die Mittler der "Kulturindustrie", Buchhändler, Agenten und Verleger, überzählig zu werden.

Und das ist auch gut so. Zu lange haben sie nach Gutdünken darüber befunden, ob was wie gedruckt, gesendet und verteilt wird. Dass Markt und Technologien damit aufräumen, muss, von den Betroffenen mal abgesehen, eigentlich niemanden sonderlich zu Tränen rühren. Eher gilt es, den digitalen Express wider den beharrenden und Trägheit vermittelnden Kräften zu beschleunigen.

Schwierige Lage

Gleichwohl müssen auch neue Lösungen her. Wie die ausschauen, steht, trotz aller gut gemeinten Vorschläge, weiterhin in den Sternen. Zumal es nur am Rande um Songs, Filme, Bilder, Bücher oder Programme geht, sondern auch um Patente, Formeln und Markenrechte. Genau genommen rührt das Urheberrecht das Selbstverständnis einer Gesellschaft, die kulturell zwar nach wie vor von der Macht und der Herrlichkeit des Künstlersubjekts überzeugt ist, und dieses unter besonderen Artenschutz stellen will, gleichwohl aber dabei ist, die Kulturproduktion von analogen Technologien auf computergenerierte Datenerhebung und -verarbeitung umzustellen.

Diesen gordischen Knoten zu durchschlagen, ist aber auch deswegen ungeheuer kompliziert, weil die technologische Entwicklung rasant fortschreitet und diesbezügliche Lösungen nur global zu haben sind. Doch auch auf diesem Gebiet sind die Interessen, wie schon die Diskussion um eine Besteuerung von Finanztransaktionen zeigt, höchst unterschiedlich. Kulturwertmarken oder Kulturflatrates, die Nationen erheben, werden kaum helfen. Wie sollen etwa Erträge, die internationale Stars wie Madonna oder U2 erzielen, verrechnet werden? Wer ist dazu legitimiert, die Verteilung wie vorzunehmen?

Mal abgesehen davon, dass das zentrale Problem damit nicht beseitigt wird. Warum sollen User für eine Information, ein Album, einen Essay oder ein Buch bezahlen, wenn sie im Netz, wie auch dieser Artikel, frei und kostenlos zu haben sind?