Der Papst hat es nicht leicht in Großbritannien

Benedikt XVI wünscht sich Heilige als "Role Model" für die britische Jugend und sorgt mit einem Holocaust-Hinweis unfreiwillig für Heiterkeit. Außerdem nimmt Scotland Yard mögliche Attentäter fest.

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Der Papst hat es nicht leicht in Großbritannien. Die englische Kirche hat sich schon seit dem 16.Jahrhundert von Rom losgesagt; Atheisten reklamieren deutlich öffentliche Präsenz, nicht nur mit Busaufklebern (siehe Wahrscheinlich gibt es keinen Gott) und berühmten Bestsellern - "Der Gotteswahn". Internationales Aufsehen erregten die beiden weltführenden Atheisten Dawkins und Hitchens im April dieses Jahres auch mit ihrem Vorhaben, den Papst wegen "Verbrechen gegen die Menschheit" verhaften zu lassen, sobald er britischen Boden betritt.

Davon war nun nicht mehr die Rede, als Benedikt XVI am Donnerstag zum ersten Staatsbesuch eines Papstes seit der Lossagung König Heinrichs VIII. im Herbst 1534 den Boden des Vereinigten Königreichs betrat. Hier und da zeigte sich netter britischer antipapistischer Humor und aus dem strengkatholischen Nordirland mochten, wie das französische Internetmagazin Rue89 hinwies, wohl Stimmen kommen, die in Benedikt den "Antichrist" erkennen, aber aufhorchen ließ der Besucher selbst. Kaum war er dem Flugzeug entstiegen, verbreitete sich schon die erste große Botschaft des Papstes: Der "atheistische Extremismus" und "aggressive Säkularismus" könnten sich als Wegbereiter für schlimmste politische Entgleisungen herausstellen. Als Exempel führte der Papst den Holocaust an.

Damit traf er in Großbritannien einen Nerv. Der Papst würde gegen den atheistischen Extremismus "in den Krieg ziehen", schrieb der Guardian. Die BBC zitierte eine abwiegelnd gemeinte Erklärung der Kirche, wonach der Papst ziemlich gut über die Nazi-Ideologie Bescheid wisse, und sorgte damit unfreiwillig (?) für Heiterkeit - wahrscheinlich nicht nur bei deutschen Bloggern, in Großbritannien hat man ein trainiertes Gehör für den Witz in solchen Nazi-Ambivalenzen.

Dem Leitmotiv, dass die Politik der moralischen Instanz der Religion, sprich der Kirche, bedürfe, blieb Benedikt auch bei seiner gestrigen, "historischen" Rede in Westminster Hall vor der britischen Prominenz aus Politik, Business, Religionsgemeinschaften und Gesellschaft treu. Die Welt der säkularen Vernunft brauche die Welt des religiösen Glaubens, um nicht zu verarmen, vor allem, wenn es um stabile moralische Grundlagen für das Handeln gehe. Die Kirche und der Glaube dürften nicht an den Rand gedrängt werden:

"Wenn moralische Prinzipien, die dem demokratischen Prozess unterliegen, selbst nicht weiter durch Solideres bestimmt werden als den sozialen Konsens, dann wird die Zerbrechlichkeit des Prozesses allzu offensichtlich - hierin liegt die wirkliche Herausforderung für die Demokratie."

Die Rolle der Religion sei es nicht, bessere Lösungen anzuzeigen, sondern bei der Anwendung der Vernunft eine korrigierende Hilfeleistung zu bieten, indem man "objektive moralische Prinzipien" ans Licht bringt. Dass dies nicht immer willkommen sei und wiederum auf Abwege führen könne, räumt Ratzinger ein: "Sektierertum" und "Fundamentalismus" würden ebenfalls zu schwerwiegenden sozialen Problemen führen. Manchen, die hier genauer hinhören, fällt dabei auf, dass auch der Papst mit solchen Phänomenen im eigenen Haus zu tun hat und dabei keine gute Figur machte (siehe Die Katholische Kirche in der Glaubwürdigkeitskrise) und Weißwaschung für die Pius-Brüder?).

Auch für 4000 Schüler und 750 Erzieher im katholischen St. Mary's University College in Twickenham im Westen Londons hatte der Papst eine Truhe voll etwas abgehobenem Idealismus mitgebracht. In, wie britische Zeitungen vermerkten, für den Intellektuellen Ratzinger erstaunlich dem jugendlichen Publikum verständlicher Sprache warnte er dieses vor den Grenzen der "Kultur der Berühmtheit", der Celebrity, und der Wissenschaft (mögliche Erklärung: der auch unter der Jugend populäre Physiker Stephen Hawking sorgte kürzlich für Schlagzeilen mit der Buchverkaufsmeldung, dass das Universum zu seiner Entstehung keinen Gott nötig hatte). Der Papst zielte aber vor allem auf den Celebrity-Kult. Allzu oft würden Jugendliche berühmten Sport-oder Showstars nacheifern, damit aber nur das Zweitbeste suchen:

"My question for you is this: What are the qualities you see in others that you would most like to have yourselves? What kind of person would you really like to be?' "I'm asking you not to be content with second-best."

Das beste Role-Model wäre also ein Heiliger, lässt sich Benedikt verstehen: Er hofft, dass sich unter den anwesenden Jugendlichen auch "die künftigen Heiligen des 21. Jahrhunderts" befinden.

Britische Kritiker entrüsteten sich, dass Joseph Ratzinger kein gutes papistisches Role-Model abgibt. Er sei wider alle Hoffnung der Öffentlichkeit - eine kurze Bemerkung über Banken ausgenommen - ungerührt über die tatsächlich dringlichen moralischen Probleme des Landes hinweggegangen und harmlos geblieben.

Da sorgte Scotland Yard für den Aufreger: die Festnahme von sechs Männern, darunter Straßenkehrer, die ihre Tätigkeit möglicherweise als Tarnung für einen Anschlag auf den Papst nutzen wollten. Hinweise von Personen, die Gespräche der Männer mit algerischer Herkunft gehört hatten, ließen die Polizei präventiv zugreifen, "weil wenig Zeit blieb".

Genauere Verdachtsmomente sind derzeit noch nicht bekannt. Die Erklärungen der Polizei sind noch sehr vorsichtig, um eventuellen Peinlichkeiten zu entgehen. Die Festnahmen seien nicht auf Ergebnisse von abgehörten Telefongesprächen oder der Arbeit von Undercoveragenten zurückzuführen. Für den Berichterstatter von Kath.net steht allerdings fest, dass da jemand nicht richtig zugehört hat:

"Doch es gibt Menschen, die nicht hören wollen. Am selben Vormittag nahm Scotland Yard sechs Terroristen algerischer Herkunft fest, die nach Angaben der Polizei ein Attentat auf den Papst geplant hatten. (...) Dies zeigt: Der Papst scheint nach wie vor ein Ziel von islamischen Fundamentalisten zu sein, die weder bereit sind, auf ihre religiösen Führer zu hören, noch fähig, sich in der Dimension der Wahrheit und Aufrichtigkeit mit anderen auseinanderzusetzen."