Einsatz der Kaltreserve war vermutlich überflüssig

Wahrscheinlicher ist, dass E.on einfach auf Kosten der Stromkunden sparen wollte und es mit der Versorgungssicherheit nicht so genau nimmt

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E.on will, wie berichtet, drei Gaskraftwerke abschalten, und zwar Irsching 3 in Bayern (415 MW), Staudinger 4 in Hessen (622 MW) sowie Franken 1 in Nürnberg (383 MW). Angesichts der Notwendigkeit, die wechselnde Einspeisung aus Windkraft und Fotovoltaik unter anderem durch flexible Gaskraftwerke zu ergänzen, ist das schon sehr merkwürdig und lässt am Willen des Konzerns zweifeln, ernsthaft zum Umbau der Stromversorgung beizutragen. Aber darauf wurde an dieser Stelle bereits hingewiesen.

Bemerkenswert ist aber schon, was die Statistiken über die Stromproduktion im letzten Jahr zeigen. Demnach ging im vergangenen Jahr die Produktion der Gaskraftwerke zurück. Trotz der Abschaltung von effektiv sechs Atomkraftwerken (zwei weitere standen ohne schon seit Jahren still). Im einzelnen sah die Entwicklung von 2010 auf 2011 wie folgt aus (Angaben in Terawattsunden TWh, eine TWh entspricht einer Milliarde Kilowattstunden): Braunkohle +7,1, Steinkohle -2,5, Gas -2,8, Öl -1,4.

Die zusätzliche Produktion der Braunkohlekraftwerke war also nicht so sehr, wie die Lobby der AKW-Betreiber verbreitet, ein Ergebnis von Merkels erneuter Kehrtwende in der Atompolitik. Braunkohle hat vielmehr aus offensichtlich wirtschaftlichen Erwägungen der Kraftwerksbesitzer Gaskraftwerke und andere fossil befeuerte Anlagen ersetzt. (Genau genommen wurden die Gaskraftwerke von Solaranlagen verdrängt, die nun tagsüber meist die Mittel- und Spitzenlast abdecken, aber die Gaskraftwerke hätten ja auch als Ersatz für Braunkohlekraftwerke herangezogen werden können, um sie im Falle eines Falls zur Verfügung zu haben.)

Was spricht eigentlich dagegen, die Kraftwerksbetreiber durch gesetzliche Eingriffe oder auch einfach durch eine Verteuerung der CO2-Zertifikate von diesem für Klima wie Systemumbau schädlichen Verhalten abzuhalten? Denn natürlich könnten die Gaskraftwerke länger laufen und auch Grundlaststrom liefern. Das wäre zwar etwas teurer, aber nur, weil RWE und Vattenfall weder für die Schäden aufkommen, die die Abgase ihrer Braunkohlekraftwerke verursachen, noch für die Landschaftszerstörungen ihrer Tagebaue angemessen bezahlen müssen.

Wie sehr den Konzernen selbst die Versorgungssicherheit egal ist, zeigt ein interessanter Vorfall, den der Fachinformationsdienst IWR recherchiert hat. Demnach sind die drei genannten E.on-Kraftwerke nicht nur im letzten Jahr ziemlich wenig Volllaststunden gefahren, zwei von ihnen mit zusammen 1037 MW Leistung standen auch noch still, als am 8. und 9. Dezember 2012 die in Österreich bereit gestellte Kaltreserve abgerufen wurde. Aufgrund eines unerwarteten Ausfalls des Block C im AKW Gundremmingen (1344 MW) und Lieferverpflichtungen gegenüber Italien wurde das Netz zeitweise am Limit gefahren. Im Nachhinein wurde versucht, den Erneuerbaren und Verzögerungen beim Netzausbau die Sache anzulasten (siehe Wenn die Argumente ausgehen und Manipulationen gedeckt?).

Die IWR-Autoren erklären sich diesen merkwürdigen Verzicht auf den Einsatz der dem AKW im Vergleich zur österreichischen Reserve mehr oder weniger benachbarten Gaskraftwerke damit, "dass die Kosten für den Nutzung der Kaltreserve von allen Stromverbrauchern durch eine Umlage auf die Netzentgelte getragen werden müssen". Hätte E.on hingegen seine Gaskraftwerke genutzt, hätte deren Strom vermutlich mit Verlust verkauft werden müssen. So sehen die Segnungen der Marktwirtschaft und der unternehmerischen Freiheiten in einem Sektor aus, der eigentlich ein hohes Maß an Planung, Regulierung und natürlich auch Kostenausgleich erfordert.