Antimaterie und Antigravitation

Beeinflusst die Schwerkraft Antimaterie auf andere Weise als gewöhnliche Materie?

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Manchmal kann es für Physiker erhellend sein, sich auch auf den ersten Blick unsinnige Fragen zu stellen. In der Geschichte der Wissenschaft war es nicht ungewöhnlich, dass ein Durchbruch dort entstand, wo jemand ein Problem vermessen hat, das bisher ohne jede Überprüfung als Axiom galt.

Fügt man ein negativ geladenes Antiproton und ein positiv geladenes Positron zu einem Atom zusammen, entsteht Antiwasserstoff, ein Stoff, den man der Antimaterie zurechnet. Der Begriff ist allerdings ungünstig gewählt. Denn wenn sich Wasserstoff- und Antiwasserstoff-Atom treffen, annihilieren sie sich zwar. Doch trotzdem sind beide Stoffe im physikalischen Sinn Materie. Sie besitzen Masse und Energie und gehorchen Einsteins Formel, dem berühmten E=m*c2. Die Gravitation muss, wenn die Allgemeine Relativitätstheorie korrekt ist, auf Wasserstoff und Antiwasserstoff identisch wirken.

Nachgemessen hat das allerdings noch niemand. Während die Theorie für gewöhnliche Materie in jeder Dimension erstaunlich präzise bestätigt werden konnte, sind sich Physiker bei "Anti"-Materie zwar sicher, dass sie sich wie erwartet verhält. Doch eine experimentelle Bestätigung fehlt. Womöglich findet die offensichtliche Inhomogenität der Verteilung von Materie und Antimaterie im Weltall ja eine Begründung darin, dass Gravitation auf Antimaterie anders wirkt, etwa im Sinne einer Anti-Gravitation?

Ein frei verfügbares Paper in Nature Communications liefert nun zumindest Ansätze einer Messung. Die Forscher haben Daten des ALPHA-Experiments des Genfer CERN genutzt, in dem für kurze Zeit Antiwasserstoff-Atome erzeugt, in einer Magnetfalle festgehalten und schließlich fallengelassen werden. Für den letzten, bisher nicht ausgewerteten Teil der Messungen haben sich die Physiker nun interessiert: Wie verhält sich Antiwasserstoff im freien Fall? Fällt er langsamer als normaler Wasserstoff, oder fällt er gar nach oben?

Sensationelle Ergebnisse haben die Forscher allerdings nicht herausbekommen. Es zeigte sich, dass die Messungen an den Atomen bei weitem zu ungenau sind. Die Gravitation wirkt demnach auf Antiwasserstoff entweder bis zu 110 Mal stärker als auf Wasserstoff – oder zieht diese gar mit bis zu 65-facher Erdbeschleunigung in die falsche Richtung. Damit sind die Wissenschaftler nicht viel schlauer als zuvor. Die Forscher hoffen nun auf präzisere Daten des Alpha-Experiments, die ab 2014 zur Verfügung stehen könnten. Gleichzeitig betonen sie, dass sie im Grunde keine Abweichung von der Theorie erwarten – aber nachzumessen wird ja wohl erlaubt sein ...