Griechenland: "Die Diktatur ist nicht vorbei"

Griechenlands konservativ-sozialdemokratische Regierung regiert per Dekret am Parlament vorbei. Linke sieht bürgerliche Demokratie in Gefahr

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Wie berichtet ist in Athen am Dienstagabend überraschend der öffentliche Radio- und Frensehsender ERT per Regierungsdekret geschlossen worden. Tausende Menschen versammelten sich spontan vor dem ERT-Sitz, um ihrem Unmut Luft zu machen.

"Natürlich kann man an dem alten Sender nicht alles verteidigen", meint eine griechische Journalistin, die ungenannt bleiben möchte. "Mancher hat seinen Job dort wegen politischer Beziehungen bekommen, und der eine oder andere bezog Gehalt, ohne dafür zu arbeiten. Aber wenn man den Sender tatsächlich reformieren will, dann schließt man ihn nicht. Denn dann kann man doch nicht sicher sein, dass die Zuschauer später auch zurück kommen."

Und dass ausgerechnet die Konservativen und die PASOK, die jahrzehntelang Klientelwirtschaft betrieben haben, nun den Sender transparent und kostengünstiger organisieren, glaubt in Athen kaum jemand. Schon das undemokratische Regieren per Dekret spricht eher dagegen.

Das am Dienstag verkündete Dekret war bereits das 19. seiner Art, berichtet Errikos Finalis, Mitglied der außenpolitischen Kommission des Linksbündnisses Syriza. "Sie lösen die Institutionen der bürgerlichen Demokratie auf. Das Parlament hat nichts mehr zu sagen. Nach etwa drei Monaten, wenn so ein Dekret längst umgesetzt wurde, haben die Abgeordneten lediglich die Möglichkeit, es zu bestätigen oder nachträglich abzulehnen. Allerdings ohne Debatte."

Der Vorgang erinnert – wie übrigens auch die von der EU unter anderem auf Druck der Berliner Regierung durchgesetzte Austeritätspolitik – stark an die deutsche Notstandspolitik in den frühen 1930er Jahren vor der Machtergreifung der Nazis.

Finalis kritisiert auch andere Elemente, die den Rahmen der bürgerlichen Demokratie verlassen, zum Beispiel die Zwangsverpflichtung der Lehrer oder die Reaktivierung von Gesetzen aus der Bürgerkriegszeit in den 1950er Jahren. So könne jemand wegen der Anstachelung zur Rebellion zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden, wenn er zu Streiks oder zu Widerstand gegen Großprojekte wie den Goldbergbau in Chalkidiki im Norden des Landes aufruft. Es habe bereits verschiedene Festnahmen mit solcher Begründung gegeben.

Und auch die Symbolik stößt vielen auf. ERT war nach dem Sturz der Militärdiktatur in den 1970er Jahren gegründet worden. Der andere öffentliche Sender, der unangetastet bleibt, wurde hingegen vom Militär aufgebaut. Entsprechend lautete einer der am Dienstag von der Menge vor dem Sender skandieretn Slogans: "Brot, Bildung, Freiheit – die Diktatur endete nicht 1973." (Die griechische Militärdiktatur wurde 1973 von einem Volksaufstand gestürzt, dessen zentrale Parole "Brot, Bildung, Freiheit" war.)