Im ORF wurden Religion und Wissenschaft zusammengelegt

Österreichische Wissenschaftler fragen sich, ob nun Wissenschaft zu einer Glaubensfrage wird

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In Österreich kritisieren Wissenschaftler die Entscheidung des ORF, die Abteilungen für Religion und Wissenschaft nicht nur in der Hauptabteilung "Bildung und Zeitgeschehen" zusammenzulegen, sondern den Theologen Gerhard Klein, der bislang für Religion zuständig war, auch zum Wissenschaftschef zu machen.

Die Entscheidung ist zwar schon vor einiger Zeit gefallen, seit Anfang August hat der Theologe auch sein Amt übernommen, aber erst jetzt scheinen diejenigen, die die Wissenschaft nicht so gerne in der Hand eines Theologen sehen, aufmerksam geworden zu sein und melden Protest an. ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz hatte etwas dunkel erklärt, dass durch die "noch engere Vernetzung der beiden Hauptabteilungen Religion und Wissenschaft künftig wichtige Synergien bestmöglich genutzt werden können".

In Zeiten des Religionskampfes, der auch in Österreich gegen den Islam und die Muslime geführt wird und in dem wieder versucht wird, die "bessere" christliche Tradition zur nationalen Identität zu machen, könnte tatsächlich die westliche Errungenschaft der Aufklärung und der Säkularisierung unter Druck geraten. Die Wissenschaft in einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender einem Theologen zu unterstellen, könnte ein Zeichen für eine solche Stärkung der Religion sein, vermutlich wäre der Generaldirektor nicht auf die Idee gekommen, die Religion einem Wissenschaftler zu unterstellen.

Für die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak ist es eine seltsame, aber typisch österreichische Entscheidung: "Wenn der Staat immer weniger Geld für die Wissenschaft zur Verfügung stellt, dann braucht der ORF anscheinend auch keine eigene Abteilung für Wissenschaft mehr", sagte sie der Nachrichtenagentur APA. Die Frage sei, ob nun Wissenschaft "zu einer Glaubensfrage wird". Helga Nowottny, Wissenschaftsforscherin und Präsidentin des European Research Council (ERC), fühlte sich an Nachrichten "aus dem medialen Imperium Berlusconis" erinnert.

Quantenphysiker Anton Zeilinger schließt sich dem an, geht davon aus, dass die Entscheidung etwas mit dem "nicht unverkrampften Verhältnis von Wissenschaft und Religion" zu tun hat. Der Sozial- und Kulturanthropologe Andre Gingrich kritisiert: "Mit dieser Weichenstellung koppelt sich der ORF vom Weg der EU ins 21. Jahrhundert ab und proklamiert stattdessen 'zurück in die 1950er Jahre'." Andere sehen es gelassener, so der Quantenphysiker Markus Arndt, der nicht glaubt, dass der ORF sich nun für Intelligent Design stark machen wird. Einige der Wissenschaftler fordern aber auch, dass der Wissenschaft mehr Raum gegeben werden müsse.

Klein weist alle Bedenken gegenüber dieser Verbindung von Religion und Wissenschaft zurück: "Die Journalisten der Abteilung Religion sind also keineswegs der verlängerte Arm der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Im Gegenteil. Wir berichten kritisch über Vorgänge in den Kirchen und Religionsgemeinschaften. Das tun wir seit Jahren, wie man sehen kann. Auch die Wissenschaftsjournalisten sind kein verlängerter Arm irgendwelcher Lobbys."

Ganz so unproblematisch könnte es aber doch nicht sein, wenn er auch sagt, dass ihn der "Streit der Fakultäten" interessiert: "In einer immer komplexer werdenden Welt scheinen mir interdisziplinäre Diskussionen von großer Bedeutung zu sein." Ob die Neuauflage der Diskussionen zwischen Religion und Wissenschaften, die mit der Aufklärung schließlich zur Loslösung der Wissenschaften von den Kirchen und der Religion geführt haben, ein wichtiges Thema ist, darf bezweifelt werden. Es könnte aber gut sein, dass die Entscheidung, die sich vermutlich eher institutionellen Strukturen und Verbindungen verdankt, dennoch eine symbolische Bedeutung im sich aufheizenden Kulturkampf hat.