Kopftücher und Denkverbote

In Frankreich wird diskutiert, ob sich Verschleierung mit Emanzipation und linker Politik verträgt

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Darf die Kandidatin einer Partei, die sich den Fortschritt auf die Fahnen geschrieben hat, Schleier tragen? Mit dieser Frage muss sich derzeit eine linke Partei in Frankreich, die Neue Antikapitalistische Partei (Nouveau Parti anticapitaliste - NPA), auseinandersetzen.

Auslöser der Debatte ist Ilham Moussaïd, eine Studentin, die bei den im März anstehenden Regionalwahlen für die NPA im südlichen Department Vaucluse antritt. Bilder, die zur Bekanntgabe der Kandidatur in den Medien verbreitet wurden, zeigten die junge Frau der Öffentlichkeit mit einem Kopftuch. Die Tageszeitung Le Figaro nahm die verschleierte Kandidatin zum Anlass, um auf ganz offensichtliche Widersprüche zu feministischen Positionen in der Partei hinzuweisen. Die dezidiert linke Partei, die als "trotzkistisch" bezeichnet wird, wurde im Februar letzten Jahres neu gegründet; die Vorläufer-Trotzkistenpartei LCR (Ligue communiste révolutionnaire) ging in ihr auf. In der LCR spielten feministische Positionen eine wichtige Rolle, sie standen für das fortschrittliche Element der Partei.

Doch geht es bei der augenblicklichen Kopftuch-Debatte, die in der Partei und in der Öffentlichkeit geführt wird, nicht nur um Widersprüche des islamischen Bekleidungsbekenntnisses gegenüber dem feministischen Wertekanon, sondern auch um andere Fragen zur grundsätzlichen Haltung zur Religion, die den Streit exemplarisch machen und möglicherweise aufschlussreicher als die Debatte zum Burkaverbot. Denn hier zeigt sich anhand eines individuellen Falles wie schwierig sonst funktionierende Generalisierungen werden.

Da sich Ilham Moussaïd, wie Parteifreunde betonen, sehr engagiert an Demonstrationen und politischen Aktionen beteiligt hat, die für Emanzipation, persönliche Freiheit und gegen Unterdrückung eintreten, greift das Klischee von der unterdrückten, der Würde beraubten und sich der Herrschaft fügenden Frau unter dem Kopftuch hier nicht.

Moussaïd stehe eher für muslimische Frauen, die der Klischeeblick nicht erkennen will, eine neue Generation von aufgeklärten und selbstbewussten Frauen, die sich für das Kopftuch entscheiden würden, ohne damit ihre Individualität und ihren kritischen Kopf abzugeben, in diese Richtung zielt das Argument, das innerhalb der Partei geäußert wird, das darauf pocht, dass die linke Partei doch nicht die Kopfträgerinnen in den Vorstädten und ärmeren Vierteln außer Acht lassen und als Adressat vernachlässigen kann; ansonsten würde man doch der Möglichkeit Raum geben, dass sich neue Parteien aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu religiösen Gruppierungen formieren würden ("partis communautaires").

Den Traditionalisten der Partei wird vorgeworfen, dass sie solchen neuen Entwicklungen der Zielgruppe der Partei nicht genügend Rechnung getragen wird. Besancenot, Sprecher und Aushängeschild der Partei weigert sich bislang, eine persönlichen Kommentar abzugeben. Er referiert nur den Widerspruch: Die Kandidatin sei mit der erforderlichen Mehrheit der Stimmen gewählt. Der Schleier nicht nur ein religiöses Symbol, sondern auch Mittel der Unterdrückung der Frau, das von allen drei großen Monotheismen im Lauf der Geschichte als solches benutzt wurde, auch wenn Moussaïd dies nicht so begreife und sie damit nicht die einzige in der Gesellschaft sei.

Die Weigerung Besancenots darüber hinaus eine persönliche Einschätzung abzugeben, wird im Zusammenhang mit der Tradition der Partei verstanden, die die religiöse Zugehörigkeit nicht als wichtiges Thema versteht, sondern höchstens als Randthema; offenkundiges Zeichen dieser Haltung: der Bereich der Parteiwebsite, der sich mit der Laizität beschäftigt, zeigt im Gegensatz zu anderen Themen keinen Kommentar an.

Diese indifferente Haltung gegenüber der Religion, die aus den Anfangszeiten der kommunistischen Bewegung zu Beginn des letzten Jahrhunderts stamme und sich noch bis in die Vorläuferpartei LCR eingeschrieben habe, so werfen parteiinterne Gegner ein, sei jetzt bei einer völlig veränderten Soziologie der antikapitalistischen Mitstreiter nicht mehr zu halten.