Rekruten der Völkerwanderung

Studie durchleuchtet den Medienumgang Jugendlicher

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Nutzer von Online-Communities werden immer jünger. Die heute 12- bis 13-Jährigen waren bei ihrem Einstieg ins Soziale Netz im Schnitt gerade mal 11,2 Jahre alt. Zwei Drittel der User melden sich mit ihrem richtigen Vor- und Nachnamen an. Deutlich angestiegen ist die Zahl der "Freunde", mit denen man im Netz verkehrt: Die Zahl kletterte von 159 im Jahr 2010 auf 206 im Vorjahr und auf aktuell 272 "friends" im Netz – mehr oder weniger intime. Zu den besonders Vertrauten zählen ungefähr "nur" 100.

Der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest ist angetreten, den Medienumgang der 12- bis 19-Jährigen mit der Langzeitstudie Jugend, Information, (Multi-) Media, kurz JIM, jährlich zu erfassen. Mit dieser Dokumentation liegt aktuell die 15. JIM-Studie vor, die die Medienentwicklung bei Teenagern in Deutschland kontinuierlich dokumentiert.

Fast alle (96 Prozent) besitzen ein eigenes Handy – nicht viel Neues an der Front. Neu ist allerdings der rasante Zuwachs bei den Smartphones. Inzwischen hat knapp jeder zweite Jugendliche eins. Damit hat sich der Anteil gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt. Als auffällig nennt die Studie, dass Jugendliche mit geringerem Bildungshintergrund aktuellere Geräte haben als Jugendliche mit formal höherer Bildung. Die monatliche Handyrechnung liegt mit 17,10 Euro etwa auf Vorjahresniveau.

Happy Slapping

Ein Problem ist die Aufzeichnung von Schlägereien, zumal wenn reale Gewalt inszeniert oder provoziert wird ("Happy Slapping"). Ein singuläres Ereignis entwickelt sich potentiell zu einer immer wieder reproduzierbaren Demütigung - dank enormer Verbreitungsmöglichkeiten gewinnt Mobbing damit eine brenzlige Dimension. Fast jeder dritte Handybesitzer hat schon mal mitbekommen, dass eine Prügelei mit dem Handy gefilmt wurde.

Lediglich vier Prozent geben zu, pornographische oder brutale Filme erhalten zu haben. Allerdings geben zwei Drittel der Handynutzer an zu wissen, dass derlei Inhalte via Handy kursieren. Jungs sind hier stärker betroffen als Mädchen, Ältere offenbar mehr als Jüngere. Bei den Gamern sind es 64 Prozent, die aussagen, dass in ihrem Freundeskreis besonders brutale Spiele gespielt werden. 34 Prozent bestätigen, selbst solche Spiele zu spielen. Spitzenreiter ist "Call of Duty" (39 Prozent und damit die häufigste Nennung), gefolgt von "Battlefield" mit 18 Prozent der Nennungen.

Kompetenz gefragt

Print ist keineswegs out: 41 Prozent blättern regelmäßig in Büchern und Tageszeitung. Nach der Glaubwürdigkeit der Medien gefragt, entscheidet sich etwa die Hälfte der Jugendlichen für die Tageszeitung. 22 Prozent schenken dem Fernsehen das meiste Vertrauen und 17 Prozent dem Radio. Elf Prozent würden bei widersprüchlicher Berichterstattung am ehesten den Angaben im Internet trauen.

Hier ist das Thema Datensicherheit inzwischen offenbar bei den Youngsters angekommen. 87 Prozent haben im Profil ihrer Community die Privacy-Option aktiviert. Allerdings fühlen sich 45 Prozent wenig oder gar nicht sicher, im Vergleich zum Vorjahr ein starker Anstieg der Verunsicherung: Das Vertrauen in die Communities bei den Jugendlichen hat abgenommen.

Im Orbit der Unbehausten

Kritiker sprechen längst von einer Industrialisierung der Freundschaft. Wie ernsthaft kann man Hunderte von "Freunden" sein eigen nennen? Facebook – nur die kalte Bühne der Unbehausten? 81 Prozent der Altersklasse sind hier registriert (2011: 72 Prozent). 78 Prozent sind mehrmals pro Woche in sozialen Netzwerken unterwegs, die meisten Jungendlichen sogar tagtäglich.

Adorno konstatierte den "Gestus des Hektischen, des Hochdrucks" 1945 in den Minima Moralia. Seine Worte von damals klingen überraschend modern: "Die Unzähligen, die plötzlich der eigenen abstrakten Quantität und Mobilität, dem von der Stelle Kommen in Schwärmen wie einem Rauschgift verfallen, sind Rekruten der Völkerwanderung (…)". Ein ernüchterndes Statement über die Mehrung der Unstetigen. Findet sich zwar nicht in der Studie – aber könnte tendenziell passen?