Privater Maulkorb für Filmjournalisten

Der Besuch der "Wolverine"-Pressevorführung verhängt mal wieder eine Sperrfrist - jetzt sogar für jede private Meinungsäußerung.

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Das aktuelle Beispiel ist ein besonders absurdes: Bereits Anfang April ging es durch alle Medien, dass eine DVD-Kopie einer frühen Produktionsfassung von "X-Men Origins: Wolverine" in den Online-Tauschbörsen aufgetaucht sei. Die Bildqualität ist wohl vergleichbar mit den DivX-Kopien bereits auf DVD erschienener Filme, glaubt man diversen Szene-Seiten. Nur fehlen wohl noch einige Spezialeffekte, sind noch Stahlseile zu erkennen, an denen Hugh Jackman durch die Luft segelt, und so weiter.

Für eine feuilletonistische Filmkritik, die in der Regel ohnehin mehr mit Handlungsdiskursen als einer bloßen Bewertung der blinkenden Schauwerte arbeitet, wäre so eine Kopie wohl bereits eine ausreichende Arbeitsvorlage - obwohl natürlich die Gefahr bleibt, dass sich die finale Fassung auch noch in dieser Hinsicht einschneidend ändern kann. Um sich als Zuschauer eine Meinung zu bilden, die bei der Entscheidung für oder gegen den Kinobesuch hilft, reicht die Fassung wohl auch.

Mit der Sperrfrist-Erklärung, die der Verleih Fox jetzt den zur Pressevorführung angemeldeten Journalisten zur Unterschrift vorgelegt hat, lockt die Kopie aus dem Netz noch mehr: Zum einen findet sich darin das übliche Veröffentlichungsverbot einer Kritik bis zum 27. April, an das sich die meisten Pressevertreter bereits gewöhnt haben, anstatt den verschiedenen Boykott-Aufrufen zu folgen. Neu ist aber folgendes: "Darüber hinaus bestätige ich, dass mein Artikel / meine Kritik und/oder

meine eigene Meinung

zu dem Film, die in der Teilnahme an dieser Vorführung begründet sind, nicht vor dem 27. April 2009 in Printmedien wie Zeitungen oder Illustrierten, im Rundfunk, wie TV oder Radio und /oder in Neuen Medien wie Blogs,

Foren

oder Webseiten veröffentlicht, verbreitet

und/oder an Dritte weitergegeben

werden."

Eine Sperrfrist für eine publizistische Veröffentlichung ist eine Sache, und sie lässt sich noch wenigstens notdürftig mit einem gegenseitigen Übereinkommen zwischen Journalist und Filmverleih legitimieren. Die neue Fox-Sperrfrist betrifft aber explizit auch ein launisch dahingepostetes "Der Film ist OK", selbst wenn es tatsächlich noch kürzer und weniger "journalistisch" ausfällt als das verlinkte Beispiel. Dies erhebt Online-Foren (und dank des schwammigen Begriffs "Neue Medien" wohl auch Twitter, Facebook und Chatrooms) plötzlich zur publizistischen Plattform, und spricht ihnen ihre - wenn auch öffentliche - Privatheit ab.

Dass nicht einmal mehr die private Meinungsäußerung - ein Grundrecht - vom Verleih gewünscht wird, belegt der Nachsatz: Dieser verhängt - je nach Lesart der komplizierten Interpunktion - einen Maulkorb für jegliche Weitergabe der "eigenen Meinung zum Film", und schließt damit auch zum Beispiel eine Unterhaltung zweier Journalisten nach dem Besuch der Pressevorführung mit ein. Es ist diese Art der Kontrolle der öffentlichen Meinung, die der Verband der deutschen Filmkritik von Anfang an verurteilt und nach dem Grundsatz "Wehret den Anfängen" bekämpft hat. Für letzteres ist es jetzt zu spät. Ein privater Forumsposter mit Raubkopie hat nun einen Wettbewerbsvorteil vor dem Journalisten (weil er keine "Sperrfrist-Erklärung" unterzeichnen musste) - und diese Ungleichheit kann der Journalist erst wieder mit Unterschriftsverweigerung und einem torrent-Client wettmachen. Wer also vor dem 27. April doch ein "Der Film ist OK" in einem Forum hinterlässt oder auf der Straße davon spricht, ist automatisch entlarvt: Als neugieriger Tauschbörsennutzer, vertragsbrüchiger Journalist oder Mitarbeiter einer Promotion-Agentur, deren Viralmarketing jetzt noch effektiver wirkt.