Bulgarien rein, Rumänien raus?

Die Regierungskrise in Bukarest verschiebt den Schengen-Beitritt Rumäniens in weite Ferne. Das besorgt Bulgarien, das eilig die Inbetriebnahme eines Grenzüberwachungssystems meldet

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Schengen-Beitritt der beiden Regierungen wird im Doppelpack verhandelt und verzögert sich schon seit letztem Jahr. Vorgesehen ist, dass beide Länder ihre permanenten Kontrollen an den Außengrenzen abbauen. Ursprünglich sollte die sogenannte "Schengen-Vollanwendung" Rumäniens und Bulgariens auf der Ratssitzung der EU-Innen- und Justizminister im September endgültig beschlossen werden.

Finnland und die Niederlande hatten die Bemühungen zum Schengen-Beitritt jedoch torpediert und sich auf formale Regelungen zurückgezogen: Gefordert wurden zwei positive "Fortschrittsberichte", die von der Europäischen Kommission im Rahmen eines Kontroll- und Kooperationsmechanismus regelmäßig veröffentlicht werden. Während Rumänien im letzten Bericht schlecht beurteilt wird, gefällt Bulgarien den EU-Prüfern besser: Attestiert werden "unumkehrbare Fortschritte" in der Kriminalitätsbekämpfung. Strittig sind aber Justizreformen oder die Korruptionsbekämpfung. Deshalb wird Rumänien bereits dieses Jahr erneut geprüft, während Bulgarien erst Ende 2013 behelligt wird.

Barroso und Reding lancieren getrennte Aufnahme in den Schengen-Raum

Das politische Durcheinander in Rumänien verstimmt die EU-Kommission allerdings nachhaltig. Vor allem ist die Kommission über das Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten Traian Basescu verärgert und hegt Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit Rumäniens. Nachdem sogar das rumänische Verfassungsgericht ein Hilfeschreiben an die EU gerichtet hatte, gibt sich der Kommissionspräsident eingeschnappt: José Manuel Barroso bereiste letzte Woche die bulgarische Hauptstadt Sofia. Gewöhnlich schaut er bei seinen Reisen auch stets in Bukarest vorbei. Jetzt allerdings schmäht er Rumänien medienwirksam.

Barroso lobte in Sofia die "dynamische Entwicklung Bulgariens", kritisierte aber den niedrigen Lebensstandard und das fehlende Wirtschaftswachstum. Das bringt die Tageszeitung Duma auf die Palme: Barroso sei ein Heuchler und pflege eine Doppelmoral, wenn er seine Kritik nur in ausländischen Medien äußere. Die französische Zeitung "Le Monde" zitierte die EU-Justizkommissarin Viviane Reding mit den Worten "Ich wäre nicht überrascht, wenn die EU-Staaten entscheiden würden, Rumänien nicht gleich in den Schengen-Raum aufzunehmen." Damit deutet sich an, dass die Aufnahme der beiden Länder in den Schengen-Raum voneinander entkoppelt werden soll.

Deshalb ist jetzt Rumäniens Premierminister Victor Ponta beleidigt und will nicht mehr mit Reding, die auch Vize-Kommissionspräsidentin ist, kommunizieren. Zuständig für das Schengen-System sei ohnehin ihre Kollegin, die Innenkommissarin Cecilia Malström, schimpfte Ponta in einer Fernsehshow. Die Ausweitung der Schengen-Region sei nur gemeinsam mit beiden Ländern durchzuführen. In der Tat mutet es seltsam an, wenn zwar Bulgarien die permanenten Kontrollen an seinen Grenzen abbauen würde, das nördlich gelegene Rumänien aber nicht.

Zivil-militärische Grenzsicherung für Beitritt obligatorisch

Zu den formalen Voraussetzungen des Schengen-Beitritts gehört der Nachweis einer technisch hochgerüsteten Migrationsabwehr. Daran verdienen vor allem die europäischen Rüstungskonzerne mit sogenannten "integrierten Grenzsicherungssystemen". Dabei handelt es sich um sogenannte "C4ISR"-Plattformen. Das Akronym steht für "Führung, Steuerung, Kommunikation, Computer, Informationsbeschaffung, Überwachung und Aufklärung". Ziel ist, möglichst schnell und umfassend Informationen über den Gegner zu erlangen, um stets über die Entscheidungshoheit zu verfügen.

Der europäische Multi EADS hat Rumänien seit 2004 ein entsprechendes System geliefert, um seine 3.147 Kilometer lange Außengrenze zu überwachen. 184 Dienststellen und Trainingszentren der Grenzpolizei wurden von EADS, Siemens und anderen "Partnern" mit Radaranlagen, Videoüberwachung, Infrarotkameras und Wärmesensoren ausgerüstet. Eine "Kontrollsoftware" verarbeitet die Informationen und verbindet die Polizeien über eine "Kommunikations- und IT-Infrastruktur". Die Anlagen werden auch in Hubschraubern, auf Schiffen sowie "Grenzkontrollfahrzeugen" verbaut.

Das System in Rumänien kostete allein in der ersten Phase mehr als eine Milliarde Euro. Der Vertrag mit der rumänischen Regierung und EADS kam ohne Ausschreibung zustande. Zur Unterzeichnung reiste der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder im Rahmen eines Staatsbesuchs an.

Gestern meldete auch Bulgarien die Inbetriebnahme eines Überwachungssystems an der Grenze zur Türkei. In einer Presseerklärung kündigt die Regierung an, dass die Plattform von Innenminister Tsvetan Tsvetanov in der Grenzstadt Svilengrad eröffnet wird. Dabei handelt es sich wohl nur um ein Teilstück, für das 2010 ein Vertrag unterzeichnet wurde. Denn erst im August hatte die Regierung eine Ausschreibung für eine weitere Plattform veröffentlicht.

Die Seegrenze am Schwarzen Meer wird indes bereits von einer Plattform des EADS-Ablegers Cassidian überwacht. Das System mit dem Namen "CSS Blue Border" ist eingebunden in weitere Überwachungsnetzwerke der Europäischen Union und der NATO und dient vor allem der Migrationsabwehr.