Solar-Pleiten: Röttgen spielt das Unschuldslamm

Sachsen-Anhalt und Thüringen rebellieren. Aber kann der Bundesrat den Kahlschlag noch aufhalten?

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Der Pleitegeier kreist über der deutschen Solarindustrie. Erst meldet Solon Insolvenz an und wird nun von einem Unternehmen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten übernommen, dann strauchelt der einstige Weltmarktführer Q-Cells, schließlich kündigt nun auch noch der US-amerikanische Hersteller First Solar seinen Rückzug aus dem unsicher gewordenen deutschen Markt und die Schließung seiner beiden Werke in Frankfurt/Oder an. Und ganz nebenbei mussten bereits eine Reihe kleinerer Unternehmen aufgeben, ohne es damit bundesweit in die Schlagzeilen zu geschafft zu haben.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen lässt derweil wissen, dass sein Mitgefühl den Beschäftigten und ihren Familien gehöre. Ansonsten weist er es weit von sich, dass die Entscheidung der US-Amerikaner etwas mit den jüngsten Einschnitten bei der Solarförderung zu tun haben könnte. First Solars hiesige Produktion ist übrigens auf Großanlagen zugeschnitten, deren Bau besonders erschwert werden soll.

Ursache für die Stilllegung, so Röttgen, seien vielmehr die Überkapazitäten auf dem Weltmarkt, die zu einem Preisverfall und weltweit zu Verlusten bei den Herstellern geführt hätten. Röttgen beziffert die globalen Produktionskapazitäten auf 70 Gigawatt (GW). Die Zahl scheint etwas hoch gegriffen, denn im letzten Herbst war noch meist von weltweiten Kapazitäten zwischen 40 und 50 GW die Rede. Andererseits brachten es die zehn größten Produzenten zu Jahresbeginn bereits auf rund 21 GW und da es nach der Bonanza der letzten Jahre Hunderte von kleineren Herstellern gibt, ist Röttgens Zahl vielleicht doch nicht ganz unrealistisch.

Wie dem auch sei, verkauft wurden 2011 weltweit rund 27 GW. Die Überkapazitäten betragen derzeit auf jeden Fall mehrere Dutzend GW. Dieses Missverhältnis bräuchte, um behoben zu werden, selbst dann drei oder mehr Jahre, wenn nicht wichtige europäische Länder ihre Förderprogramme zusammenstreichen würden. Der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao hat übrigens unter anderem aus diesem Grunde Anfang März angekündigt, dass seine Regierung "blindes Wachstum in unserer Fähigkeit, Solar- und Windkraftausrüstung herzustellen", verhindern will ("We will prevent blind expansion in our capacity to manufacture solar energy and wind power equipment.")

Der Ball liegt jetzt beim Bundesrat

Röttgen muss sich derweil fragen lassen, ob man von kluger Industriepolitik sprechen kann, wenn in einem international schwierigen Umfeld den Unternehmen auch noch der Heimatmarkt kaputt gemacht wird, wie es mit der jüngsten Änderung der Förderung zu geschehen droht. Nun gilt in Deutschland nämlich als ausdrückliches gesetzliches Ziel nicht mehr der möglichst schnelle Ausbau der Erneuerbaren, sondern die Begrenzung des Solarausbaus auf knapp die Hälfte des in 2011 und 2010 erreichten Niveaus. Ohne diese Kahlschlag-Politik im Interesse der Betreiber von schwerfälligen Atom- und Braunkohlekraftwerken wäre die Situation für die hiesige Industrie schwierig genug gewesen. Mit dem schwarz-gelben Amoklauf gegen die Energiewende geht es für viele Unternehmen offensichtlich überhaupt nicht mehr.

Ein letztes Wort hat allerdings noch der Bundesrat mitzureden, der am 11. Mai über das Gesetz beraten wird. Am Donnerstag haben im ZDF erneut die Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts und Thüringens, Reiner Haseloff und Christine Lieberknecht (beide CDU, beide regieren gemeinsam mit der SPD) angekündigt, im Bundesrat gegen die Kürzung der Solarförderung zu stimmen.

Der Bundesrat könnte zunächst am 11. Mai mit einfacher Mehrheit von 35 Stimmen den Vermittlungsausschuss der beiden Parlamentskammern anrufen. Das würde den Prozess aufhalten. Wenn sich die Bundestagsmehrheit dann jedoch nicht bewegt und bei ihrer Position bleibt, bräuchten die Gegner der Kürzung im Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Diese ist jedoch auch nach einem absehbaren Seitenwechsel Schleswig-Holsteins nicht in Sicht.

Aber auch die einfach Mehrheit für die Anrufung des Vermittlungsausschusses ist noch nicht sicher. Nach der derzeitigen Sitzverteilung haben die von der Opposition regierten Länder nur 26 von 69 Stimmen. Auch mit den je vier Stimmen von Sachsen-Anhalt und Thüringen kämen sie noch auf keine Mehrheit. Es müsste noch ein weiteres schwarz-rot regiertes Bundesland mit der Opposition stimmen, also das Saarland, Mecklenburg-Vorpommern oder Berlin.