Böller statt Brot!

Kritik am Aufruf zum Verzicht auf Feuerwerk

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Man kennt es seit Jahren, das Spiel zu Sylvester: "Brot statt Böller" rufen die guten Menschen aller Erden und wer doch noch böllert, muss ein schlechtes Gewissen haben: Ist jede Sylvesterakete nicht eine Bombe gegen die Moral, die guten Sitten und Verständigung unter den Menschen? Spende man doch stattdessen für die Armen dieser Erde...

Ausgerechnet ein Dritte-Welt-Aktivist schüttet nun Wasser in den Wein der Menschenfreundlichkeit: Roland Röder, Geschäftsführer der "Aktion 3. Welt Saar" fordert: "Der Appell 'Brot statt Böller' sollte aufhören. Denn er trägt sehr viel Lustfeindlichkeit zur Schau."

Zum Menschen aller Kulturen gehöre das Feiern, so Röder, der den "Brot statt Böller"-Aktivisten außerdem vorwirft, mit dem Appell an das schlechte Gewissen politischen Schaden zu stiften:

"Denn der suggerierte Zusammenhang zwischen dem Silvesterfeuerwerk und Hunger und Armut in der Welt ist beliebig gewählt und existiert nicht. Genauso gut könnte man dazu auffordern, keine Weihnachtsbäume und Bücher zu kaufen oder Fußballspiele ausfallen zu lassen."

Dass Menschen hungern, obwohl es genug Nahrungsmittel gibt, liege an der Verteilung und an der Verwendung von Nahrungsmitteln als Viehfutter. "Denn Hunger ist kein Schicksal, sondern wird gemacht." Darum unterstützt Röder den Vorschlag des Weltagrarberichts, der eine veränderte Agrarpolitik fordert, in deren Zentrum die Abkehr von der Liberalisierung des Welthandels und der Gentechnik liegt. "Denn finanziell unterstützte Agrarexporte aus Europa - vor allem Milch und Fleisch - sorgen dafür, dass Märkte in der Dritten Welt zusammenbrechen, bäuerliche Existenzen zerstört werden und Menschen verhungern."

Hier nun verfällt Röder selbst dem konservativen Asketismus, den er jenen vorwirft, die mit Leidensmiene und moralischem Zeigefinger Gerechtigkeit und Solidarität predigen. Der Gegensatz "bäuerliche" vs. "industrielle" Landwirtschaft ist simplifiziert und allzu billig, und reproduziert nur, wie jeder Bioladen am Prenzlauer Berg, den dummen Uralt-Gegensatz von böser Moderne und guter Tradition.

Zur Tradition gehört das Böllern, also böllern wir schön, und Röder hat ja recht: "Zum Charakter des Menschen gehört in allen Kulturen das Feiern - und für manche eben auch die Freude am Silvesterfeuerwerk. Man sollte aber natürlich keinen Zwang daraus machen. Jeder sollte selbst entscheiden, ob er ein Feuerwerk machen will oder nicht." Genau, genau. Bloß kein Zwang...

Erwartbar hat Röder denn auch sofort Gegenrede erfahren müssen in Form eines beherzten Kommentars der evangelischen Pfarrerin Cornelia Füllkrug-Weitzel. Die verwies darauf, dass die Deutschen jedes Jahr 100 Millionen Euro verböllerten. "Mit diesem Geld könnte man viel Gutes tun - und es zum Beispiel Menschen geben, die es viel dringender brauchen." "Wir wollen niemandem an Silvester den Spaß verderben", so die Pfarrerin, die stattdessen vorschlug:

"Wir bringen das Feuerwerk auf Ihr Handy. Die IT-Firma hat für uns ein virtuelles Taschenfeuerwerk programmiert. Die Software ist speziell für Besitzer von iPhone und iPod. Sie können sich das Programm ab Mitte Dezember aus dem Appstore für wenig Geld auf ihr Gerät laden und danach ein virtuelles Feuerwerk mit Ton und Bild starten. Das funktioniert bei jedem Wetter, schont die Umwelt - und verletzen können Sie sich dabei auch nicht."

Damit ist die Zielgrupe der "Brot statt Böller"-Kampagne immerhin endlich mal genauer umrissen: Das schwarzgrüne Großbürgertum, das im Besitz von iPhone ist. Wieviel die Firma Apple für die Exklusivität bezahlt hat, ist nicht bekannt.

Röder dazu lakonisch: "Auch der Vorschlag, sich über ein 'virtuelles Taschenfeuerwerk' in 'Ton und Bild' für das iPhone zu freuen, wirkt künstlich bemüht und hilflos."