Systemrelevanz bei Finanzkrisen und Pandemien

Staatshilfe sollen nur systemrelevante Unternehmen wie die HRE erhalten, aber wer ist das "Personal zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung", das bevorzugt antivirale Medikamente bei einer Grippeepidemie erhalten soll?

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Bei der Finanzkrise wurde klar, dass nicht allen geholfen wird oder geholfen werden kann. Schnell kam die Rede davon auf, dass Rettungspakete nur „systemrelevanten“ Instituten oder Unternehmen zukommen könne, deren Untergang „systemische“ Auswirkungen haben, also das Finanz- oder Wirtschaftssystem durch eine Art Dominoeffekt mit sich reißen könne. Man teilt also Banken, Unternehmen oder Wirtschaftszweige in Klassen ein, so dass die einen – wie die HRE – unterstützt werden sollen, während man andere scheitern lässt, weil dadurch kein so großer oder eben kein systemrelevanter Schaden entstehen sol.

Die gegenwärtige Schweinegrippe, die möglicherweise eine Epidemie oder gar eine Pandemie werden könnte, passt im Unterschied zur Finanzkrise ins Bild, schließlich wurde schon seit Jahren von „Experten“ gewarnt, dass demnächst eine gefährliche Pandemie kommen müsse. Und im Gegensatz zur Finanzkrise wurden daher auch entsprechende Notfallpläne ausgearbeitet ( Wenn die Vogelgrippe kommt). Im Hinblick auf den Schutz „systemrelevanter“ Elemente findet man in dem vom Robert Koch-Institut 2007 gemeinsam mit Bund und Ländern ausgearbeiteten Nationalen Influenzapandemieplan eine interessante Parallele. Sie hat auch damit zu tun, dass ebenso wenig allen Banken und Unternehmen in der Finanz- und Wirtschaftskrise geholfen werden, wie allen Menschen während einer Pandemie.

(Die Umsetzung der Empfehlungen des Nationalen Influenzapandemieplan ist den Ländern überlassen. Sie sollen dafür sorgen, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung mit antiviralen Medikamenten wie Tamiflu (Roche) oder Relenza (GlaxoSmithKline), mit denen einer Grippeinfektion vorgebeugt oder sie gelindert werden kann, vorrätig gehalten werden. Das beschert den Pharma-Unternehmen ein gutes Einkommen, kostet den Bundesländern aber viel Geld, weswegen wohl viele weniger als die geforderte Menge horten. In manchen Ländern scheint es kaum mehr Medikamente als für knapp über 10 Prozent zu geben. Im Aktionsplan wird dann auch gesagt, dass die antiviralen Medikamente bevorzugt bestimmten Bevölkerungsgruppen zukommen sollen:

„Die Gesundheitsressorts des Bundes und der Länder haben in einem einstimmigen Beschluss vom 23. Februar 2006 die Auffassung bekräftigt, dass die staatliche Bevorratung antiviraler Arzneimittel zur Therapie des medizinischen Personals, Personals zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie der erkrankten Personen mit erhöhtem Risiko für Komplikationen (Kinder, alte Menschen, chronisch Kranke) erfolgen soll. Hierzu haben die Länder unter Orientierung an der Empfehlung des RKI antivirale Arzneimittel zu therapeutischen Zwecken bevorratet.“

Es heißt dann zwar, dass keine „Notwendigkeit zur Priorisierung der Verteilung der Arzneimittel an bestimmte Personen“ bestehe, allerdings werden bei der Impfung , sollte es einen entsprechenden Impfstoff bereits geben, ähnliche Formulierungen gebraucht. Dass gefährdete Personen sowie medizinisches Personal Vorrang haben sollen, ist eingängig, schwieriger wird es jedoch, wer zum „Personal zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“, also von systemerhaltenden Funktionen, gehört. Polizisten, Feuerwehrleute, Regierungsmitglieder, Behördenmitarbeiter. Angestellte der öffentlichen-rechtlichen Medien??? Und wie sieht mit Vertretern der privaten Wirtschaft aus?

Es dürfte interessant sein, wie dies die Bundesländer regeln werden, also wen sie als systemrelevant einstufen, aber auch, ob dazu bereits konkrete Pläne vorliegen. Während der letzten Übung vor zwei Jahren ( Wir üben Grippe) war etwa vom Bundesamt für Bevölkerungschutz und Katastrophenhilfe darauf hingewiesen worden, dass zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung durch Notstandsmaßnahmen auch eine "gezielte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (PrÖA)" entscheidend sei, um "Angst und Panik" in der Bevölkerung zu vermeiden und "die Krisensituation zu bewältigen". Dürfen also auch die Medienvertreter auf bevorzugte Behandlung spekulieren?