Das Zwangsräumungsdrama in Spanien

Die beiden großen Parteien wollen sich nun auf eine Gesetzesänderung einigen, um nach etwa 400.000 Räumungen das gravierende soziale Problem einzudämmen

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Am Mittwoch hat sich die spanische Vizeministerpräsidentin Soraya Sáenz de Santamaría mit der Opposition darauf verständigt, gemeinsam im Eilverfahren die ausufernde Zahl der Zwangsräumungen einzudämmen.

Als beklagtes Land dürfte Spanien da schon die Stellungnahme der Generalanwältin am Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gekannt haben. Am Donnerstag wurde bekannt, dass die deutsche Juliane Kokott entsprechende spanische Gesetze für illegal hält, weil sie missbräuchliche Klauseln enthielten, die gegen Verbraucherrechte verstoßen. Die Stellungnahme der Titularprofessorin an der Universität St. Gallen zwingt zum Handeln, denn fast immer folgt der Gerichtshof im Urteil der Rechtsauffassung des Generalanwalts.

Spanien hat ein riesiges Problem. Seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 wurden mehr als 400.000 Räumungsverfahren eingeleitet, weil Familien wegen der extremen Arbeitslosigkeit von fast 26 Prozent ihre Hypotheken nicht mehr bedienen können. In etwa 350.000 Fällen kam es schon zu Zwangsräumungen. Im ersten Halbjahr nahm die Zahl eingeleiteter Verfahren um 15 Prozent auf mehr als 37.000 zu. Derzeit werden in Spanien täglich 532 Familien aus ihren Wohnungen geworfen.

Der Kläger aus Barcelona hatte 2007 bei der Sparkasse CatalunyaCaixa eine Hypothek in einer Höhe von 138.000 Euro aufgenommen und wurde 2011 geräumt. Er sitzt nach der Zwangsversteigerung auf einer Restschuld von 40.000 Euro. Auch in seinem Fall übernahm das Kreditinstitut die Wohnung zu 50 Prozent des Ursprungswerts, weil niemand sie wollte. Wie er haben zahllose Familien ihren Job und ihre Wohnung verloren, sitzen nun meist aber weiter auf hohen Schulden. Der Kläger klagte, denn auch bei ihm hatte die Bank gefordert, den Wert taxieren lassen und auf Basis dieser Wertfeststellung den Kredit vergeben.

Gegen diese Praxis läuft die Plattform der Hypothekenbetroffenen ( PAH) seit vier Jahren Sturm gegen die Zwangsräumungen. Banken und Sparkassen schieben nicht nur über variable Zinsen, sondern auch über diese Klauseln jede Verantwortung und jedes Risiko an die Kreditnehmer ab. Darin sieht auch die Generalanwältin am Luxemburger Gerichtshof ein Problem. Kokott meint, die Verbraucher seinen "schutzlos", denn sie verfügen praktisch über keine "effizienten Rechtsmittel", um gegen "missbräuchliche Klauseln" vorzugehen, "die zur Zwangsversteigerung, den Verlust des Eigentums und der Räumung" führten. Der Vorgang könne in Spanien praktisch nicht gestoppt werden.

Neben Rechtsfragen sind die Betroffenen empört darüber, dass auch Institute viele Familien auf die Straße setzen, die verstaatlicht und mit Steuermilliarden gerettet werden, wie die beklagte CatalunyaCaixa oder die große Bankia-Bank. Während die Banken weich fallen, gäbe es für die Menschen keine Rettungsnetze, beklagte der PAH‑Sprecher in Madrid Oscar Chavez. Folgt der EuGH wie üblich der Auffassung der Generalanwältin, wären zahllose Familien illegal geräumt worden. Das könnte auch dazu führen, dass Banken auf ihre Restschuldforderungen verzichten müssen. Finanzlöcher in ihren Bilanzen würden größer. Schon jetzt brauchen sie mindestens 40 Milliarden Euro aus dem EU-Rettungsfonds, um nicht Pleite zu gehen.