Ninos robados

Spanien: Katholisches Netzwerk unter Franco handelte mit Kindern

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Man nennt sie "ninos robados", die gestohlenen Kinder. Über einen Zeitraum von fast 50 Jahren, beginnend unter Franco, sind in Spanien Nachkommen ihren Eltern gestohlen und verkauft worden. Ein Netzwerk von Ärzten, Krankenschwestern, Klerikern und Nonnen sorgte dafür, dass Zigtausende Familien mit einer Lüge lebten - bis jetzt.

"Spain's stolen babies and the families who lived a lie", titelte das BBC News Magazine im Oktober. Die britische Dailymail brachte die haarsträubende Story zeitgleich. Für die katholische Kirche ein weiterer Meilenstein auf dem Weg ins moralische Desaster. Das Ausmaß des Menschenhandels kommt detailreich ans Licht. Wartelisten von systemkonformen Möchtegern-Adoptiveltern wurden zusammengestellt. Müttern wurde ihr Neugeborenes weggenommen mit der Lüge, ein Routinetest sei nötig. Dann erklärte man den wartenden Eltern den plötzlichen Kindstot: "Eine Nonne informierte mich kalt, dass mein Baby gestorben sei", zitiert das BBC-Magazin eine Mutter. Ein totes Baby, aufbewahrt in einem Gefrierschrank, wurde verzweifelten Müttern gezeigt, um sie zu "überzeugen": Die Dokumentation "Spain’s stolen babies" schockte mit Fotografien eines solchen Babys aus den achtziger Jahren.

Nach dem Tod des spanischen Diktators behielt die Kirche einen starken Einfluss auf das öffentliche und gesellschaftliche Leben. Der Skandal flog auf, als zwei Männer, Antonio Barroso und Juan Luis Moreno, herausfanden, dass man sie als Baby verkauft hatte. Schon die bisher bekannt gewordenen Details zeigen, wie tief die unmoralische Verstrickung der Kirche in das Franco-Regime reichte. Verkauft wurden die Kinder an "gute katholische Familien", beginnend zur Zeit des spanischen Bürgerkriegs und mit dem Segen des katholischen Despoten Franco. Kinder wurden denjenigen weggenommen, die als regimekritisch galten, die man als Gegner oder Feinde des Staates ansah. "Der Volkskörper sollte von 'linken Schädlingen' gereinigt werden".

Nach Aufdeckung des Skandals bestanden trauernde Eltern zum Zweck von DNA-Nachweisen darauf, die angeblichen Gräber ihrer Kinder zu öffnen - jedoch nur um Särge, gefüllt mit Steinen oder sterblichen Überresten von Erwachsenen, vorzufinden. Was wiederum zeigen dürfte, dass es geheime Absprachen gab, mittels falscher Gräber und leerer Särge die Lüge aufrecht zu halten. Mehr als 900 Fälle werden untersucht, aber das Volumen der amtlichen, zu einem großen Teil noch ausstehenden Ermittlungen weist Juristen zufolge in die Hunderttausende - und zwar seit 1950. Eines steht fest: Die "ninos robados", die gestohlenen Kinder von einst, sind ungefragt zu Marionetten im Machtspiel der katholischen Kirche geworden. Seit neuestem helfen sie, religiöse und politische Heuchelei bloßzulegen