Erneuter Ansturm auf spanische Grenzen

Vor allem die neue Fluchtroute über kleine Inseln vor der marokkanischen Küste macht Madrid sorgen

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Ein Ansturm auf Grenzzäune ist spektakulär, wenn wie in der Nacht auf Montag fast 200 Flüchtlinge versuchen, die spanischen Grenzanlagen zu den Exklaven Ceuta und Melilla zu überwinden. In den Wäldern um die spanischen Hoheitsgebiete, die von Marokko umschlossen sind, warten zahllose Menschen auf eine Chance, die schwer befestigte Grenze zu überwinden, wie es erneut knapp zehn Schwarzafrikanern am frühen Montag gelungen sein soll. Diese Form der illegalen Einreise nach Spanien wird wieder verstärkt versucht, die schon 2005 Schlagzeilen machte. Damals wurden mehr als ein Dutzend Menschen getötet, die versuchten die Grenzen zu überwinden. Die genaueren Umstände sind bis heute unklar.

Auch der Schwarzafrikaner Alou wartet seit acht Monaten auf seine Chance, nach Melilla zu kommen, das immer mehr Spanier verlassen wollen. Der 20-Jährige hat der spanischen Tageszeitung El País erklärt, er sei aus der Elfenbeinküste geflohen, nachdem seine Eltern im Bürgerkrieg 2005 das Leben verloren hätten. Er hat sich auf einem langen Weg bis zu den ersehnten Grenzzäunen durchgeschlagen. Drei Zäune, sechs Meter hoch, türmen sich zwischen Marokko und den spanischen Exklaven auf. Sie sind mit Natodraht gespickt und werden Tag und Nacht scharf bewacht. "Über diese Grenze zu gehen ist gratis", sagte Alou, warum er es trotz aller Widrigkeiten in Melilla versuchen will. Alle anderen Wege, also per Boot über das Meer oder in einem Container per LKW nach Spanien geschmuggelt zu werden, seien sehr teuer, weil Schlepperbanden viel Geld verlangten.

Doch unter denen, die einen Weg nach Europa suchen, spricht sich nun herum, dass es direkt vor der Küste Marokkos auch Felsbrocken und Inseln gibt, die Spanien als Hoheitsgebiet beansprucht. 81 Flüchtlinge harren schon auf der "Isla de la Tierra" aus, die etwa 100 Kilometer westlich von Melilla liegt. Die mit Stacheldraht eingezäunte Insel ist unbewacht und liegt nur gut 50 Meter entfernt vor der marokkanischen Küste. Sie kann schwimmend leicht erreicht und der Stacheldraht einfach überwunden werden. Vergangene Woche kamen die ersten 19 Flüchtlinge auf die Insel und am Sonntag folgten weitere 68.

Die Flüchtlinge nutzen einen diplomatischen Schwachpunkt Spaniens aus

Gegen das Interesse Marokkos, das auch die Hoheit über die drei Alhucemas-Inseln fordert, zu der diese Insel zählt, beansprucht Spanien sie weiterhin. Das gilt auch für die Chafrarinas-Inseln oder die Petersilieninsel (Leila). Da nun die Flüchtlinge aber spanisches Hoheitsgebiet betreten haben, fordern sie, auch nach spanischen Gesetzen behandelt und in spanische Auffanglager gebracht zu werden. Tatsächlich wurden drei Frauen aus der ersten Gruppe, eine davon hochschwanger, mit ihren drei Kindern schon nach Melilla überführt.

Spanien will sich um die übrigen Menschen nicht kümmern. Madrid hofft darauf, dass sie den Felsbrocken freiwillig räumen und zurück an Land schwimmen. In einer schriftlichen Erklärung lehnt Madrid jede Verantwortung für "unerwünschte Konsequenzen" ab, die sich aus einem "illegalen Zutritt des Staatsgebiets" ergeben könnten. "Menschenschieberbanden" hätten die Menschen auf die Insel gebracht, die aus deren Not ein Geschäft machten und sie ausbeuten würden. () Doch die spanische Position ist kaum haltbar. Wenn es sich um Staatsgebiet handelt, dann muss das Land auch dort seine minimalen Standards gewährleisten, auch wenn dazu seit Samstag in vielen Regionen keine allgemeine Gesundheitsversorgung mehr gehört.

Tut das Madrid nicht, wird Marokko in seiner Ansicht bestärkt, dass die Inseln ohnehin zum nordafrikanischen Königreich gehören. 2002 führte ein Streit um die ungeklärte Situation der ebenfalls unbewohnten Petersilieninsel fast zu einem militärischen Konflikt zwischen beiden Ländern. Dass die Lage "delikat" ist, weiß auch die spanische Regierung. Innenminister Jorge Fernández Díaz und Außenminister José Manuel García-Margallo haben nun Gespräche über die Lage mit den marokkanischen Amtskollegen begonnen, "um eine dauerhafte Lösung" zu suchen. Marokko soll dazu gedrängt werden, die Flüchtlinge abzufangen, bevor sie die Felsbrocken vor der Küste erreichen. "Gespräche finden auf allen Ebenen statt", erklärte Außenminister Margallo am Montag.

Experten halten die Situation aber für kompliziert, schließlich hat Marokko ein Interesse daran, den Druck in der Frage auf Spanien zu erhöhen und Spanien Zugeständnisse abzuringen. Marokko unterstreicht zudem stets nicht nur den Anspruch auf die Inselgruppen, sondern betont auch immer wieder seinen "historischen Anspruch" auf Ceuta und Melilla. In Rabat wird dabei auch gerne von den "besetzten Gebieten" gesprochen. Die spanische Position ist auch deshalb schwach, weil es diesen Forderungen nicht nachgibt, während es gleichzeitig die Rückgabe von Gibraltar von Großbritannien fordert.