Tunesien: der nächste Mord an einem prominenten Oppositionspolitiker

Nach der Ermordung Mohamed Brahmis von der linken säkularen Front Populaire stehen die Zeichen auf Eskalation

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Die vom Militär beförderte Absetzung Mursis und der Regierung der Muslimbrüder in Ägypten hatte auch in Tunesien Auswirkungen; die Spannungen zwischen der regierenden islamistischen En-Nahda-Partei und der Opposition verschärften sich. Mitten hinein in die angespannte Situation platzte heute die Nachricht vom Mord an dem Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi.

Brahmi gehörte der Front Populaire an, einer Koalition verschiedener Parteien, die einen linken nationalistisch-säkularen Kurs verfolgt; Brahmi war zuvor Vorsitzender der linken Partei Mouvement du peuple. Er war ein scharfer Kritiker der Politik von En-Nahda. Laut Zeugen wurde der Politiker in einem Vorort von Tunis erschossen, als er aus seinem Auto ausstieg - von zwei Männern auf einem Motorrad; elf Kugeln sollen ihn getroffen haben. Die Ähnlichkeiten zur Ermordung des Oppositionspolitikers Chokri Belaïd vor sechs Monaten sind augenfällig (vgl. "Das ist doch ein modernes und intellektuelles Land").

Damals wurden von Angehörigen Belaïds öffentlich Beschuldigungen gegen die Regierungspartei En-Nahda erhoben, der Verdacht hielt sich lange; die Rede war sogar von einer Todesliste. Im Zentrum der Vorwürfe standen insbesondere die mit der En-Nahda verbundenen Milizen "Ligues de protection de la révolution". Gestern hatte die Regierung verkündet, dass man die Drahtzieher dieses Attentats kenne. Bekannt gegeben hat sie die Namen aber nicht. Details würden bald veröffentlicht, hieß es nur. Seit April wurden Photos von Verdächtigen veröffentlicht. Das Attentat hatte in Tunesien eine schwere politische Krise zur Folge, in deren Verlauf der Premierminister Hamadi Jebal zurücktreten musste.

Auch heute strömten nach Bekanntwerden der Ermordung Brahmis hunderte Menschen auf die Straßen. In Tunis wurde vor dem Innenministerium demonstriert, das seit längerer Zeit besondere Kritik auf sich zog ("Ministerium des Terrorismus"). Zu Menschenaufläufen kame es auch in Sidi Bouzid, Ausgangspunkt der tunesischen Revolution 2011 und Geburtsort des Ermordeten. Vor dem Krankenhaus in Tunis' Peripherie, wo der Tod Brahmis gemeldet wurde, forderte eine empörte Menge den "Sturz des Regimes".

Der Sprecher des Front-Populaire-Bündnisses, Hamma Hammemi, rief zu einem Generalstreik und zivilem Ungehorsam auf. Der Oppositionspolitiker Chebbi forderte die Absetzung der Regierungskoalition unter Führung der En-Nahda und die Bildung einer neuen Regierung zur nationalen Rettung. Inzwischen sollen Parteizentralen der En-Nahda angezündet worden sein. Tunesien stehen kritische Tage bevor.