"..aber warum und wozu?"

"Kein Peacenik und kein Hasch rauchender Hippie", einer, der nichts gegen das Töten hat - der erste höherrangige US-Vertreter, der seinen Posten in Afghanistan aus Protest gegen den Krieg aufgibt

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Unter der Präsidentschaft Bush/Cheney wäre Matthew Hoh höchstwahrscheinlich anders dargestellt worden. Die Washington Post zeichnet ein durchweg positives Porträt von dem ehemaligen Marine, der Kampfeinsätze im Irak, Karrierestationen im Pentagon, im Außenministerium hinter sich hat und nun eine leitende Position als US-Vertreter für die Provinz Zabul in Afghanistan. Matthew Hoh hat gekündigt. Seine Begründung legte er in einem mehrseitigen Brief dar. Der amerikanische Botschafter in Kabul, Karl W. Eikenberry, reagierte auf die Kündigung des Mannes mit einem neuen Jobangebot, an höherer Stelle in der Botschaft; auch der US-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Richard Holbrooke, lockte mit einem guten Posten in der amerikanischen Hauptstadt, weit weg vom Krieg.

Das ist an sich nichts völlig Neues - mit solchen Angeboten hat man seit jeher Kritiker zum Leistertreten gebracht - , bemerkenswert sind aber die Kommentare der Führung, soweit sie von der Zeitung veröffentlicht werden, allesamt gestehen sie nämlich dem Abtrünnigen trifftige Einsichten zu. Holbrooke ist nicht der Einzige mit seiner Äußerung: "I agreed with much of his analysis." Einverstanden ist er nur nicht mit dem Schluss, den Hoh aus seiner Analyse zieht: Dass der Krieg in Afghanistan kein weiteres Opfer mehr wert ist. Er habe das Vertrauen verloren, dass die amerikanischen Soldaten, die in Afghanistan ihr Leben opfern, dies für einen Zweck tun, der dies wert ist. Aus seinem Kündigungsschreiben zitiert die Zeitung:

"I have lost understanding of and confidence in the strategic purposes of the United States' presence in Afghanistan. I have doubts and reservations about our current strategy and planned future strategy, but my resignation is based not upon how we are pursuing this war, but why and to what end."

Er sei kein "Peacenik", kein "pot-smoking hippie", so Hoh. Es gebe eine Menge Kerle, die getötet werden müssten, nie sei er glücklicher gewesen als im Irak, wenn sein Team eine Gruppe solcher Kerle fertig gemacht hätten.

Zwei Einsichten Hohs gaben nach seinen Äußerungen hauptsächlich den Ausschlag, den Krieg in Afghanistan als sinnlosen zu begreifen und den verlorenen Posten zu verlassen: die Einsicht, dass viele Afghanen nur gegen die USA kämpfen, weil deren Soldaten in dem Land sind. Die andere Einsicht, die ihn nach eigenen Worten "schockierte": Die Truppen hätten es, anders als er dies lange Zeit glaubte, nicht mit einem nationalen Widerstand zu tun, sondern mit einem lokalen Widerstand:

"I thought it was more nationalistic. But it's localism. I would call it valley-ism."

Seine eigenen Erfahrungen in Korengal und Zabul hätten ihm vor Augen geführt, wie sehr die Widerstandsgruppen von örtlichen Interessen geleitet seien. Manche Gruppen würden nicht einmal Verbindungen zu Gruppierungen unterhalten, die nur wenige Kilometer entfernt seien. Von den "hunderten, vielleicht tausenden" dieser Gruppen in ganz Afghanistan, gibt es seiner Anschauung nach nur wenige, die "ideologische Verbindungen" zu den Taliban hätten. Deren Geld werde aber gern genommen, um die ausländischen Eindringlinge zu vertreiben und die eigene örtlichen Machtbasen zu halten. Seiner Beobqachtung nach nähren sich große Teile des Widerstandes von der Loyalität der Ortsansässigen zu ihren Familien, Dörfern, Tälern und ihren finanziellen Unterstützern. Die Lektion, die er daraus zieht, hat man schon in den achtziger Jahren lesen können:

"Mit dem Freiheitsdurst dieses Volkes (der Paschtunen, Erg. d.A.) muss rechnen, wer Afghanistan in seine Gewalt bringen will. Wer sich den Blick freigehalten hat für das wichtigste Material der Geschichte, den Menschen, der kann aus den Annalen Afghanistans nützliche Lehren ziehen. Die Paschtunen sind das aktuellste Beispiel dafür, dass die Mächtigen ihre Geschichtslektionen immer wieder neu lernen müssen. Und dafür dass die Völker immer wieder diese Lektionen mit ihrem Blut bezahlen."
Jörg Fauser, Die Killer vom Khaiberpaß (1980)