Geheimdienstliche Ausschleusungen

Wie man trotz Überwachung trickreich flüchtet

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Seit dem 19. Juni 2012 hält sich WikiLeaks-Gründer Julian Assange in der Botschaft von Ecuador auf, wo er allerdings trotz nunmehr gewährtem Asyl nicht ohne weiteres das Land verlassen kann. Eine heimliche Flucht wäre daher durchaus eine Option. In London war Assange bereits 2010 mehrfach undercover unterwegs, angeblich sogar einmal als ältere Dame verkleidet, was bei der Größe des Australiers jedoch mäßig unauffällig gewirkt haben soll. Während es geheimdienstliche Verfolgungsjagden, Duelle und Schusswechsel praktisch nur im Kino gibt, kommen spannende Aktionen wie Ausschleusungen tatsächlich ab und an einmal vor.

Gordijewski

Der KGB-Offizier Oleg Gordijewski, der (zumindest nach der offiziellen Version) an die Briten berichtete, geriet 1985 in entsprechenden Verdacht und wurde rund um die Uhr beschattet. Gordijewski pflegte jeden Morgen zu joggen, wobei er die Kondition seiner Schatten austestete. Eines Morgens gelang es ihm, seine Verfolger auf sportliche Weise abzuhängen und sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu einem Treffpunkt durchzuschlagen. Dort sprang er in den Kofferraum eines Diplomatenautos, das ihn über die Grenze in den Westen schmuggelte.

"Argo"

Ungleich aufwändiger geriet 1979 eine Ausschleusung von US-Diplomaten aus Teheran durch die CIA. Während der Iranischen Revolution waren etliche Angehörige der amerikanischen Botschaft als Geiseln genommen worden, sechs Amerikaner jedoch konnten sich in der kanadischen Botschaft verstecken. Die Situation war in mehrfacher Hinsicht riskant, weil damals in Teheran mit unterschiedlichen, religiös fanatisierten Gruppen zu rechnen war, welche Amerikaner, die mit dem Shah-Regime kooperiert hatten, spontan gelyncht hätten. Nicht nur die kanadische Botschaft wäre bei Bekanntwerden des heimlichen Asyls in Schwierigkeiten geraten, vielmehr hätte dies sämtliche Botschaften in Misskredit gebracht und Durchsuchungen provoziert.

Die CIA erwog mehrere Pläne, u.a. das Angebot des texanischen Öl-Millionärs (und späteren Präsidentschaftskandidaten) Ross Perrot, der selbst zwei Mitarbeiter auf einer "Rattenlinie" aus dem Land hatte schaffen lassen. Die Schwierigkeit für die CIA lag darin, dass Amerikaner in Teheran spätestens am Flughafen auffielen. Die Revolutionäre führten genau Buch etwa über amerikanische Journalisten usw., die sie beobachten ließen, so dass ein entsprechendes Cover Up einer Überprüfung nicht standgehalten hätte. Aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse konnte man sie nicht überzeugend etwa als Europäer ausgeben.

Der mit Täuschungsoperationen erfahrene Spezialist Antonio J. Mendez, der bereits kurz zuvor vor Ort in Teheran die Ausschleusung eines Agenten geleitet hatte, wusste Rat. Mendez war ursprünglich als Passfälscher zur CIA gestoßen und leitete schließlich als eine Art amerikanischer "Q" die Abteilung für spezielle Spionagetechnik. Mendez' Spezialität war es, für Geheimagenten glaubwürdige Legenden zu fabrizieren und diese durch Fälschung von Dokumenten etc. zu unterstützen. Sein Meisterstück war die Ausschleusung eines schwarzen und eines asiatischen CIA-Agenten, die er mithilfe des Maskenbildners John Chambers (Oscar 1969 für "Planet der Affen") in Europäer verwandelt hatte.

Mendez ersann nun ad hoc die ungewöhnliche Idee, die Amerikaner als Leute vom Film zu legendieren, die im Iran nach einem Drehort für einen Fantasy-Film suchten. Er inszenierte eine fiktive Filmproduktionsgesellschaft und flog zur Recherche nach Hollywood, wo ihm seine Freundschaft mit Chambers diskret die Türen öffnete. Dort hatte ein Produzent tatsächlich ein Drehbuch für das havarierte Projekt "Lord of Light" zu bieten. Sogar fertige Storyboards standen zur Verfügung. Mendez arrangierte einen Artikel über das nun vorgeblich doch realisierte Filmprojekt im Branchenblatt "Variety" und sorgte dafür, dass telefonische Anfragen nach den kanadischen Produzenten in Hollywood mit der Auskunft beantwortet würden, diese befänden sich gerade auf Drehortsuche im Iran. Als Titel wählte Mendez "Argo", was man mit "Jason und den Argonauten" assoziieren konnte, tatsächlich aber für die Redewendung "Ah, go fuck yourself!" stand. Bei seinem Besuch in Hollywood sammelte Mendez auch Feuerzeuge und Streichholzschachteln mit Logos der Studios. Um die Inszenierung perfekt zu machen, fragte er als vorgeblicher Produzent Behörden im Iran nach den Möglichkeiten für Filmcrews an. Man suche einen Basar, wo man zehn Filmtage einplane, die Millionen von Dollars versprachen. CIA-Direktor Admiral Stansfield Turner ließ die Durchführung der so vorbereiteten Operation persönlich von Präsident Carter genehmigen.

Inzwischen wurde die Lage in der kanadischen Botschaft angespannter, denn ein Unbekannter hatte dort angerufen, einen der Amerikaner namentlich ans Telefon verlangt und behauptet, er wisse genau, dieser halte sich dort versteckt. Mendez traf in der Botschaft ein und verwandelte die Diplomaten in Filmleute. Eine Frau musste ihre Frisur ändern und mit Rauchen anfangen, um die Drehbuchautorin zu spielen. Eine andere bekam dicke Brillengläser, damit man ihr die Set-Designerin abnahm. Einen konservativen Diplomaten kleidete Mendez in enge, taschenlose Jeans und ein weit aufgeknöpftes Seidenhemd und behängte ihn mit Goldkettchen. Ausgestattet mit den Dreh- und Skizzenbüchern, der Ausgabe von "Variety" sowie den Hollywoodmitbringseln machte sich das Team auf den Weg zum Flughafen. Kanada hatte echte Pässen ausgestellt, Mendez die weiteren Reisedokumente gefälscht. Aus sicherer Entfernung beobachteten die CIA-Leute, wie die "Filmcrew" eincheckte und das Land schließlich unerkannt verließ.

Mendez durfte die Geschichte 1999 in seiner Autobiographie "The Master of Disguise" veröffentlichen. Ironischerweise fand die skurrile Story nunmehr tatsächlich nach Hollywood und wurde mit Ben Affleck in der Rolle des Antonio Mendez verfilmt. Titel: "Argo" (2012).

Teufel aus der Kiste

Auch einem vom KGB angeworbenen Amerikaner gelang trotz Überwachung trickreich die Flucht. Der in Verdacht geratene Mann wähnte zutreffend eine Beschattung. Um sich unauffällig abzusetzen, baute er auf den Beifahrersitz seines Autos einen "Springteufel", nämlich eine zunächst versteckte lebensgroße Puppe, die von weitem wie er selbst aussah. Seine Frau steuerte beim Verlassen des Anwesens den Wagen, der Spion saß auf dem Beifahrersitz. Nach einer unübersichtlichen Kurve flüchtete der Doppelagent aus dem verlangsamten Auto, seinen Platz nahm nun die hochgeklappte Attrappe ein, so dass der Spion unbemerkt seine Flucht antreten konnte. Der Mann hätte sich seinen ambitionierten Zaubertrick allerdings sparen können: Der Überwacher hatte die Fahrt nicht einmal bemerkt, da er zu diesem Zeitpunkt seine Notdurft verrichtet hatte.