Das ZDF und seine Beziehung zum Unbewussten

Triumph des Willens: Katrin Müller-Hohenstein, die Fußball-WM und die Kunst der Formulierung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im Eifer des Gefechts, da kommt eben manchmal heraus, was heraus muss. Und offenkundig ist der Fußball ein besonders geeignetes Medium, um einiges aus dem kollektiven Unterbewussten, was dort sonst gut verdrängt und versteckt ist, an die Oberfläche zu spülen. "Ein innerer Reichsparteitag", "jetzt mal ganz im Ernst" müsse es wohl für den von langer Torflaute, regelmäßigem Ersatzbankdrücken beim FC Bayern und von Dutzend versiebter Chancen geplagten Miroslav Klose gewesen sein, im deutschen Auftaktspiel ein Tor zu schießen - jedenfalls nach Ansicht von Katrin Müller-Hohenstein, 1965 in Erlangen und damit recht nahe am Nürnberger Reichsparteitagsgelände geboren, die im ZDF Fußball kommentieren darf, obwohl sie Theaterwissenschaft studiert hat und deshalb von Fußball genau so viel versteht, wie von Geschichte.

Im Eifer des Gefechts, da kommt es eben manchmal heraus. Wie der Arm des Dr. Seltsam, der in gewissen Momenten der Erregung quasi reflexhaft nach oben zuckt, wird die Sprache der deutschen Sportreporter aus Anlass von Europa- und Weltmeisterschaften martialisch, wird der Kampf zum Krieg, das Spiel zum patriotischen Dienst, müssen Spieler Hymnen singen und Zuschauer Flaggen flaggen. "Lasst uns doch unseren Spaß", wird dann denen entgegnet, die das nicht witzig finden. Aber auch wenn wir, "jetzt mal ganz im Ernst", Frau Müller-Hohenstein ihren Reichsparteitagsspaß lassen wollen: Kann man eigentlich nicht, "jetzt mal ganz im Ernst", für Fußball sein, ohne ab und an in den Jargon der Nazis zu verfallen?

Klar, das ZDF ist ein Opa-Sender, und da muss man sich halt an die Sprache des Publikums anpassen. Und auch klar: Früher, da musste ein Kind, das etwas in der Schule nicht lernen wollte, eben den Stoff später "bis zur Vergasung" üben, vielleicht mancher Fußballer auf dem Platz auch die Flanken richtig zu schlagen. Allemal heißt der erfolgreichste Stürmer der Fußballgeschichte in Deutschland, wie Fußballfans wissen, "Bomber" Müller.

Frau Müller-Reichsparteitag, der die "Süddeutsche" ein "Champions-League-würdiges" Selbstbewusstsein attestiert, und die einst von Nikolaus Brender als "Lattenkracher" geholt wurde, hat sich mit ihrem Kommentar, "jetzt mal ganz im Ernst", jedenfalls selbst ins kollektive Gedächtnis der Nation eingeschrieben: Schnell brandete Protest auf - und ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz versprach diese "sprachliche Entgleisung im Eifer der Halbzeitpause" werde "nicht wieder vorkommen". Vielleicht aber eine andere?