Zweifel am SPD-Kandidaten

Die große Mehrheit der SPD hat den Kandidaten gewählt, den sie wollte und verdient hat

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Mit 93% wurde Peer Steinbrück in Hannover auf dem Sonderpartei der SPD zum Kanzlerkandidaten gewählt. Damit hat er nicht nur das Merkel-Ergebnis vor einigen Tagen auf dem CDU-Parteitag unterboten. Er lag unter der Marke von 95 Prozent, mit der der eher dröge Steinmeier vor vier Jahren zum SPD-Kandidaten gewählt wurde. Die SPD-Rhetorik von der nahezu geschlossenen Zustimmung der SPD zu Steinbrück kann so nicht verdecken, dass selbst auf dem Parteitag die Zweifel an der Fähigkeit Steinbrücks, Merkel wirklich besiegen zu können, nicht ausgeräumt sind.

Dabei hat der Rest derjenigen, die sich noch als SPD-Linke verstehen, schon vor Wochen erklärt, dass sie Steinbrück keine Steine mehr in den Weg legen wollen. Da mag das Kalkül eine Rolle gespielt haben, dass man Steinbrück zumindest los ist, wenn er die Wahl verliert. Erst dann könnte die Stunde für Politiker wie Hannelore Kraft und Manuela Schwesig schlagen, die jetzt noch in der zweiten Reihe bleiben. Sie werden keine grundlegend andere Politik machen, dagegen steht die Geschichte der Sozialdemokratie, die auch von Steinbrück in seiner Parteitagsrede wieder so ausgiebig beschworen wurde. Doch sie werden die Politik anders kommunizieren und sich dabei an Merkel ein Vorbild nehmen.

Kraft und Steinbrück

Man kann den Unterschied an der Art sehen, wie zur Zeit Hannelore Kraft Anliegen der Grünen in der Frage der Kohlekraftwerke und der Abholzung im Hambacher Forst übergeht, aber den Grünen nicht so deutlich das Gefühl gibt, dass sie überflüssig sind, wie es einst Peer Steinbrück als NRW-Ministerpräsident praktizierte. Der Unterschied bewirkte, dass man heute von den NRW-Grünen wenig hört, wenn ihre Anliegen missachtet werden. In der Steinbrück-Ära hingegen drohten sie mehrfach mit Koalitionsbruch.

Es könnte sogar sein, dass Hannelore Kraft ihre Art des Politmanagements schon in einer großen Koalition unter Merkel praktizieren kann. Schließlich hat Steinbrück mehrmals erklärt, dass er als Minister in einem Kabinett Merkel nicht zur Verfügung steht. Dieses Versprechen kann man ihm durchaus glauben. Schließlich ist es nicht nur seinem vielzitierten Ego geschuldet, sondern auch der Tatsache, dass er auf seinen Vortragsreisen als Minister außer Dienst wesentlich mehr verdient als in einem Regierungsamt. Seine Zeit als Kanzlerkandidat könnte ihm sogar in dieser Rolle wieder populärer machen.

Dabei liegt Steinbrück natürlich weltweit im Trend. Vom britischen Ex-Premier Blair bis zum zweimaligen US-Präsidenten Clinton angefangen wächst die Reihe der Politiker, die schon deshalb ihre Karriere noch vor dem Eintritts ins Seniorenalter beenden, weil sie dann als Gastredner noch einmal viel mehr verdienen.

Freunde der rotgrünen Koalition bei der Taz haben wenige Tage vor dem SPD-Parteitag noch einmal Alarm geschlagen und den SPD-Delegierten vor Augen geführt, dass die Partei mit Steinbrück nicht gewinnen kann.

"Steinbrück hat auf keinem einzigen Feld, das für die ehedem stolze Arbeiterpartei wichtig war, etwas zu bieten. Selbst in puncto sozialer Gerechtigkeit geben die Befragten der Kanzlerin mittlerweile höhere Glaubwürdigkeitswerte. Und das hat nicht in erster Linie etwas mit der Höhe seiner Vortragshonorare zu tun. Immer wieder ist der Hartz-IV-Befürworter der ersten Stunde mit markigen Sprüchen gegen Sozialleistungsempfänger aufgefallen. Auch Frauen mögen ihn grundsätzlich nicht", schreibt die Taz-Chefredakteurin Ines Pohl und vergisst, dass nicht nur Steinbrück, sondern die große Mehrheit der SPD Hartz IV nicht nur befürwortet, sondern vorangetrieben hat.

Deswegen haben die meisten Delegierten diesen Ratschlag in den Wind geschlagen und Steinbrück gewählt. Wenn nun behauptet wird, dass er nicht glaubhaft einen Wahlkampf mit dem Thema Gerechtigkeit führen kann, muss man fragen, wieso die SPD mit einem anderen Kandidaten das glaubwürdiger könnte. Insofern passen Partei und Kandidaten gut zusammen.