Retractionwatch

Tracking zurückgezogener wissenschaftlicher Artikel

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Ziehen Wissenschaftsverlage Artikel, die auf falschen oder manipulierten Daten basieren, zurück, sind die Falschinformationen oft bereits Teil des wissenschaftlichen Diskurses. Das Blog retractionwatch informiert über den Rückzug solcher Artikel, dokumentiert die Fälle und führt Retraction-Rankings.

Wissenschaftler sind Menschen wie Du und ich: Sie essen, trinken, schlafen, sind aufregend, langweilig, aufmerksam, schludrig, ehrenhaft und aufrichtig, manchmal lügen und betrügen sie auch. So wie der niederländische Star-Sozialpsychologe Diederik Stapel, dem kürzlich massive Datenfälschungen nachgewiesen wurden. Pim Levelt, Kopf des Untersuchungsausschusses an Stapels Universität Tilburg, der am 31. Oktober seinen Bericht veröffentlichte, gab an, dass circa 30 Artikel Stapels in Peer-Reviewed-Journals auf gefälschten Daten basierten. Anhaltspunkte für die Fälschungen, so Ewen Callaway in Nature zitierend, gab es wohl zur Genüge: "The data were also suspicious, the report says: effects were large; missing data and outliers were rare; and hypotheses were rarely refuted."

Fälschungen in der Wissenschaft entdecken meist nicht die von den Verlagen bestellten Gutachter, sondern aufmerksame Leser, Whistleblower oder Mitarbeiter der Fälscher. Auch Stapels Fälschungen wurden von Nachwuchswissenschaftlern seines Stabes aufgedeckt. Seine unter Verwendung manipulierter Daten verfassten Artikel werden nun peu à peu von den Verlagen zurückgezogen.

Da zwischen Publikation dieser Artikel und dem Aufdecken der Fälschungen in der Regel einige Zeit vergeht und Wissenschaftsverlage meist nicht dazu neigen, das Zurückziehen eines Artikels über alle Maßen öffentlichkeitswirksam zu inszenieren, wird dies oft nicht ausreichend wahrgenommen. Schlimmstenfalls bleibt es nahezu unbemerkt und die Falschinformation wird als wahr weiter verbreitet, ist womöglich bereits zitiert und Teil des wissenschaftlichen Diskurses.

Retractions jedermann zur Kenntnis zu bringen, ist das Ziel von Retractionwatch, eines im Sommer letzten Jahres von Ivan Oransky, Editor von Reuters Health, und Adam Marcus, Editor der Anesthesiology News, gegründeten Blogs. Es besteht aus Postings über zurückgezogene Artikel und streut diese Informationen via Social Media ins Web. Retractionwatch informiert Wissenschaftler nicht nur über Retractions und damit Fälschungs- oder Manipulationsfälle, es dokumentiert auch den Umgang des publizierenden Journals und der Institution des Autors mit Artikel respektive Täuscher und zeigt so auch, wie aufrichtig oder unaufrichtig die akademische Welt mit entdecktem Fehlverhalten umgeht.

Die Oberfläche des Blogs ermöglicht es unter anderem, gezielt nach von Retractions betroffenen Journals, Verlagen, Fächern, Autoren, Institutionen und deren Länder sowie Gründen für die Retractions zu selektieren. Diese Transparenz mag nicht jedem Akteur recht sein. Im Ländervergleich liegt Deutschland auf Platz 2 (32 Retractions) hinter den USA (76), in der Autorenhitliste führt derzeit der Mediziner Anil Potti (18 Retractions) vor Jatinder Ahluwalia (14). Der häufigste Grund für die Retraction eines Papers sind Nicht-Reproduzierbarkeit der Befunde (41), Bild-Manipulation (39), Plagiarismus (28), Mehrfachpublikation identischer Artikel (23) und Datenfälschung (20).

Den Wert des Blogs könnten vielleicht nicht nur aufmerksame Wissenschaftler zu schätzen wissen, auch Journal Editors sollten überdenken, bei Einreichungen Verfassernamen in retractionwatch zu überprüfen. Besonders empfohlen sei dies aber den Anbietern wissenschaftlicher Datenbanken wie Web of Science oder Scopus. Laut einer Meldung im Blog des Laborjournals ignorieren diese teils die Retraction manipulierter Artikel und lassen so die Zitationszahlen der manipulierenden Wissenschaftler und publizierenden Journale unberührt oder schlimmstenfalls weiter wachsen.