Steuerflüchtling Depardieu will am Rande von Moskau leben

Der Kino-Star bekommt die russische Staatsbürgerschaft

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Ein berühmter europäischer Schauspieler will partout die russische Staatsbürgerschaft? Dass bringt manche westliche Medien in Erklärungsnot. Als am Donnerstag bekannt wurde, dass Putin dem Kino-Star Depardieu per Ukas die russische Staatsbürgerschaft verliehen hat, behauptete ein deutsches Nachrichtenmagazin, Depardieu habe den Antrag auf Staatsbürgerschaft gar nicht selbst gestellt und sei von Putin praktisch überrumpelt worden. Das Bild eines erschreckten Depardieu rundete die fragwürdige Story ab.

Offener Brief "An die russischen Journalisten"

Derartigen Spekulationen trat Steuerflüchtling Gérard Depardieu, der wegen der vom französischen Präsidenten beschlossenen Reichensteuer von 75 Prozent beschloss, Frankreich zu verlassen ( "Ich gehe, weil Sie der Ansicht sind, dass der Erfolg bestraft werden muss"), heute entgegen. In einem vom russischen Fernsehsender Pervi Kanal veröffentlichten Offenen Brief des Kino-Stars "An die russischen Journalisten" stellt Depardieu klar, dass er selbst den Antrag auf die russische Staatsbürgerschaft gestellt hat.

Mit der Entscheidung nach Russland zu gehen, stellt Depardieu westliche Medien vor eine schwere Aufgabe. Denn dass ein steinreicher französischer Schauspieler, der auch als Unternehmer im Wein-Geschäft tätig ist, ausgerechnet in Russland leben will, ist angesichts der täglichen Horror-Stories über Russland nur sehr schwer vermittelbar. Was Depardieu wirklich zu dem Schritt bewogen hat, darüber kann man nur spekulieren. Ist es die Wut über die Reichensteuer oder die gekränkte Künstler-Seele? Wahrscheinlich beides.

"Russland ist eine große Demokratie"

Sein Vater sei Kommunist gewesen und habe Radio Moskau gehört, schreibt der Kino-Star in seinem offenen Brief. Dadurch sei er schon von Kindesbeinen an mit der russischen Kultur vertraut gewesen. Auch liebe er die russischen Schriftsteller und die russische Lebensart. Russland sei "kein Land von Kleinlichkeiten", sondern "großer Gefühle". Russland sei eine "große Demokratie", in welcher der Premierminister einen Bürger nicht einen "jämmerlichen Menschen" nennen könne. Diese Bemerkung bezieht sich auf den französischen Ministerpräsidenten Jean-Marc Ayrault, der den Schritt von Depardieu ins Ausland überzusiedeln, als "unpatriotisch" und "erbärmlich" bezeichnet hatte.

Nicht nur auf die Politiker, auch auf "die Medien" ist Depardieu schlecht zu sprechen. Sie machten ihn "traurig", weil sie alle nur "eine Idee vertreten". Wie ernst es Depardieu wirklich mit seiner Liebe zur russischen Kultur meint, wird sich bald zeigen. Wird der Kino-Star schweigen, wenn in Moskau wieder Demonstranten verhaftet werden? Wird er Geld spenden für notleidende Kindergärten in der russischen Provinz? Was passiert, wenn Putin, wie angekündigt, eine Luxussteuer für große Immobilien und Autos einführt? Wird Kino-Star Depardieu dann gekränkt in das nächste Land ziehen?

Dass Depardieu mit zweifelhaften Potentaten und ihrem Gefolge keine Probleme hat, zeigen einige Vorfälle der letzten Zeit. Mit Gulnara Karimowa, der Tochter des brutal regierenden usbekischen Präsidenten Islam Karimow nahm der Kino-Star bereits einen Song auf. Auf einer Geburtstags-Feier des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, in dessen Polizeistaat Menschen verschwinden, pries Depardieu den "Ruhm" von Kadyrow.

Vielleicht hat die Einbürgerung von Depardieu in Russland jedoch auch etwas Positives. Übertriebene Ängste, die westliche Touristen und Arbeits-Suchende davon abhalten, Russland zu besuchen oder dort zu leben, werden vielleicht etwas weniger, die Berichte westliche Medien vielleicht weniger oberflächlich.

Für den Großteil der russischen Bevölkerung stellen sich Fragen der politischen Kultur und Ethik in Bezug auf den Kino-Star Depardieu nicht. Dass sich Künstler auf verschiedene Weise mit der Macht einlassen oder sich sogar ganz von ihr aushalten lassen, ist in Russland - mangels Alternativen - die Regel. Für den Großteil der Russen ist Depardieu einfach ein guter Schauspieler, den sie seit Jahrzehnten schätzen und lieben und der erst jüngst wieder mit einer Rolle in dem russisch-französischen Film Rasputin (2011) von sich reden machte.

Spott und Häme

Gegen die Vergabe der Staatsbürgerschaft an den berühmten Franzosen gibt es jedoch auch Widerspruch. Ausgerechnet Putins Wahlkampfleiter, der Filmregisseur Stanislaw Goworuchin, kommentierte die Entscheidung des Kreml-Chefs, den Kino-Star einzubürgern, mit den schnoddrigen Worten, "noch ein Säufer. Ich mag die Einschmeichelung bei den Ausländern nicht".

Für den kritischen Moskauer Journalisten, Aleksandr Minkin, ist die Verleihung der Staatsbürgerschaft an Depardieu dagegen nichts weiter als der Versuch Putins von dem umstrittenen neuen Gesetz abzulenken, welches US-Bürgern die Adoption russischer Kinder verbietet.

Der für seinen übertriebenen Patriotismus bekannte russische Vizepremier Dmitri Rogosin sieht in der Verleihung der Staatsbürgerschaft an Depardieu dagegen die Vorzeichen einer neuen Zeit. Sobald im Westen "die Besonderheiten des russischen Steuersystems" bekannt seien, könne man mit einer "Massen-Migration reicher Europäer nach Russland rechnen".

Wie aus dem Offenen Brief des französischen Kino-Stars hervorgeht, träumt der Schauspieler vom Leben auf dem "russischen Dorf", nahe eines Birkenwaldes. Warum sich der Star aus Frankreich dann allerdings in der südlich von Moskau Kleinstadt Domodedowo ansiedeln will, bleibt ein Rätsel. Weil in der Stadt mit ihren 89.000 Einwohnern der staatliche Film Fonds seinen Sitz hat? Oder weil es zum internationalen Flughafen Domodedowo nur ein Katzensprung ist? So muss sich der vielbeschäftigte Neu-Russe nicht erst durch Moskauer Verkehrsstaus kämpfen, um ein Flugzeug Richtung Frankreich zu erreichen.