Deutsche Ausbilder trainieren Polizei in Belarus

Wieder gehen weißrussische Behörden brutal gegen Proteste vor. Handreichungen zur "Bewältigung polizeilicher Lagen" kommen unter anderem von deutschen Bereitschaftspolizeien

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Erneut schlug die Polizei in Belarus Proteste gegen Präsident Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko nieder: Dutzende Demonstranten wurden am Montag festgenommen, als sie wegen der Wahlfälschungen vor einem Jahr auf die Straßen gingen. Schon letztes Jahr reagierte das Regime mit einer Verschärfung der Sicherheitsgesetze sowie der fast gänzlichen Einschränkung der Versammlungsfreiheit und des Rechts auf freie Meinungsäußerung.

Zivile Polizeikräfte nahmen Dutzende Frauen und Männer fest, als sie Bilder mit politischen Gefangenen in die Höhe hielten. Gemeint waren Inhaftierte, die unter anderem wegen des "Schürens von Massenunruhen" (Artikel 293-1 des belarussischen Strafgesetzbuchs) verurteilt wurden. "Ihr werdet dafür in der Hölle brennen", zitiert die Nachrichtenagentur AFP die Reaktion der Demonstranten auf die Repression gegen Angehörige der Gefangenen nachdem diese vorgestern in Lastwagen gezerrt wurden.

Aktivistinnen scheinbar von Geheimpolizei misshandelt

Während die neuerlichen Demonstrationen in der westlichen Presse wenig Beachtung fanden, berichteten die Medien ausführlich über eine Protestaktion ukrainischer Frauen in Minsk. Die drei Feministinnen Alexandra Nemtschinowa, Inna Schewtschenko und Oxana Saschko forderten vor am Montag dem KGB-Hauptquartier ebenfalls die Freilassung der politischen Gefangenen. Zur Aktionsform der Gruppe Femen gehören Aktionen mit nacktem Oberkörper. In Minsk kamen angeklebte Bärte im Stil Lukaschenkos hinzu.

Nach übereinstimmenden Berichten wurden die Frauen anschließend von Geheimdienstagenten misshandelt. Wie die weißrussische Menschrenrechtsorganisation Charter 97 in einer Fotoserie meldet, schlugen die Behörden bei der Abreise der Aktivistinnen am Bahnhof zu: Mit verbundenen Augen wurden sie in ein über 300 Kilometer entferntes Waldgebiet gebracht. Laut dem Bericht wurden ihnen die Haare abrasiert, sie mit Öl übergossen und ihnen gedroht, sie anzuzünden. Die Greuel wurden demnach sogar gefilmt. Anschließend wurden sie nackt bei Temperaturen um den Gefrierpunkt zurückgelassen.

Ebenfalls festgenommen und noch am gleichen Tag ausgewiesen wurde die australische Journalistin Kitti Green, die als Fotografin mitgereist war. Nach einem jüngsten Bericht von Charter97 fehlt die Spur von weiteren ukrainischen Aktivistinnen, die bei der Aktion zugegen waren.

Polizeizusammenarbeit mit Belarus gut entwickelt

Erneut hat sich mit Markus Löning der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung eingeschaltet und die Freilassung aller Oppositionellen gefordert.

Doch die Rolle der Bundesregierung in Weißrussland ist zwiespältig. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage bestätigt die Bundesregierung jetzt eine jahrelange Kooperation mit Lukaschenkos Polizeitruppen. Die Bundespolizei hat demnach von 2008 bis 2011 allein 26 Maßnahmen mit dem Grenzschutz durchgeführt. Dazu gehörten etwa Ausbildungs- und Ausstattungshilfe. Seit 2010 hat die Bundesregierung sogar einen eigenen Verbindungsbeamten nach Minsk entsandt.

Schon 2009 schloss Belarus mit der Europäischen Agentur Frontex ein Abkommen, das dem Land einen Beobachterstatus bei der EU-Migrationspolizei zuweist. Die belarussische Führung erhoffte sich scheinbar eine gemeinsame Datensammlung, Ausbildungsprogramme und die Beteiligung an Operationen. Für 2010 war die Unterzeichnung eines weiteren Abkommens geplant. Der Repräsentant der Vereinten Nationen (UN) und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) Antonius Broek lobte Belarus für seine Anstrengungen im Kampf gegen "illegale Migration" ausdrücklich. Vorausgegangen war eine rigorose Massenausweisung von Flüchtlingen Ende November 2008, an der auch der staatliche Geheimdienst KGB mitwirkte. Jetzt verhandelt die EU sogar über ein Rückübernahmeabkommen mit Belarus, um unerwünschte Flüchtlinge leichter dorthin abzuschieben.

Doch nicht nur die Einbindung des repressiven Weißrusslands in die europäische Migrationsabwehr steht im Fokus der Zusammenarbeit. Belarus betreibt eine Datenbank zur "Drogenbekämpfung". Diesbezügliche Aktionen sollen auch gemeinsam mit Deutschland stattgefunden haben.

Polizeitaktiken anhand von "Sportgroßveranstaltungen" in "Ballungsräumen" illustriert

Weitaus problematischer ist jedoch die Rolle der deutschen Bereitschaftspolizeien der Länder. Ausweislich der Antwort der Bundesregierung haben diese weitere elf Maßnahmen "der polizeilichen Ausbildungs- und Ausstattungshilfe" geleistet. Dazu gehörte auch die "Bewältigung polizeilicher Lagen". Die Polizeitaktiken wurden ausdrücklich hinsichtlich ihrer Anwendung in Ballungsräumen illustriert.

Als Beispiel diente die Durchführung von - in Weißrussland eher unwahrscheinlichen - "Sportgroßveranstaltungen". Wohl nur ein Vorwand: Bekanntermaßen verbirgt sich dahinter ein verstecktes Training zur Aufstandsbekämpfung: "Wer Erfahrung mit Hooligans hat, kommt auch im Kosovo zurecht", hatte der Präsident der Bundesbereitschaftspolizei Friedrich Eichele im Rahmen eines internationalen Polizeitrainings auf einem Militärübungsplatz in Potsdam gegenüber Beobachtern hierzu süffisant kommentiert ( Terroralarm in Rauhberg).

Jetzt verdichten sich Gerüchte, dass die von Deutschland beförderten Fähigkeiten auch in Kasachstan im politischen Kontext eingesetzt wurden: Charter 97 berichtete vorgestern ebenso wie linke Initiativen, dass weißrussische Aufstandsbekämpfungseinheiten am Wochenende nach Kasachstan reisten, um dort bei der Niederschlagung der Proteste von Ölarbeitern zu helfen.

Die deutsche Polizei gab den weißrussischen Kollegen zudem ihr Wissen über die erfolgreiche Darstellung polizeilicher Arbeit in den Medien weiter. Doch gerade diese gerät immer wieder in die Kritik: So wurden beim G8-Gipfel 2007 oder den jährlichen Castor-Transporten nachweislich Falschinformationen lanciert, um die massiven Grundrechtseinschränkungen zu rechtfertigen.

Charter97 hatte bereits vor zwei Jahren berichtet, dass die Polizei in Belarus von deutschen Aufstandsbekämpfungsfähigkeiten profitiert. Das deutsche Bundesministerium des Innern habe auch der berüchtigten belarussischen Miliz angeboten, Erfahrungen bei Massenprotesten weiterzugeben. Angeblich hätte der Inspekteur der bundesdeutschen Bereitschaftspolizeien Jürgen Schubert dem Generalmajor Anatol Kulyashou angeboten, dieses Seminar in Deutschland zu organisieren.

Die Bundesregierung bestätigt jetzt Deutschlandbesuche der Milizen, denen dort "allgemeine Arbeitsweisen" der deutschen Polizei vorgeführt wurden. Die EU-Mitgliedstaaten haben allerdings Einreiseverbote gegen mehrere ihrer Angehörige verhängt, darunter den Kommandeur Yury Padabed.

Zivilgesellschaftlichen Gruppen und Bürgerrechtsinitiativen weisen immer wieder auf die berüchtigte Aufstandsbekämpfung der Miliz hin. Diese sei jetzt in den Besitz eines Papiers mit dem Titel "Use of Alert Police Forces of Germany during Mass Street Events" gelangt. Die Bundesregierung spielt die Angelegenheit herunter und erklärt, das Informationsmaterial sei anlässlich eines Informationsbesuchs an der Akademie des belarussischen Innenministeriums von der deutschen Bereitschaftspolizei verteilt worden.