"Sie schaden dem Land, treten Sie zurück"

Der spanische Ministerpräsident musste sich wegen Schwarzgeldkassen vor dem Parlament rechtfertigen

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"Ich habe mich geirrt", hat sich der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy am Donnerstag vor dem Parlament gerechtfertigt, "einer Person vertraut zu haben, die das Vertrauen nicht verdient". Er sprach vom ehemaligen Schatzmeister seiner konservativen Volkspartei (PP). Rajoy hatte Luis Bárcenas lange verteidigt und erklärt, man könne ihm keine Schuld nachweisen. Doch seit Ende Juni sitzt dieser in Untersuchungshaft. Er hat gegenüber Medien und dem Untersuchungsrichter ausgepackt, nachdem er zuvor alle Vorwürfe bestritten hatte.

Dem Ermittlungsrichter Pablo Ruz erklärte er, die PP habe sich "wenigstens in den letzten 20 Jahren illegal finanziert". Die 48 Millionen Euro, die auf seinen Konten gefunden wurden, stammten aus "Bargeldspenden von Baufirmen und anderen Unternehmen". Die flossen, damit Firmen "im Gegenzug an öffentliche Aufträge" aus den Institutionen kamen, in denen die PP regiert. Er gab zu, aus seinen schwarzen Kassen seien hohe Summen in bar als "Zusatzlöhne" in Bargeldumschlägen an Parteiführer geflossen. Darüber hat er auch akribisch Buch geführt. Demnach soll Rajoy sogar die höchste Gesamtsumme erhalten haben.

Zwar räumte Rajoy ein, dass Bargeld geflossen sei. Er beantwortete aber die Frage nicht, warum "Löhne" und "zusätzlichen Vergütungen" nicht wie üblich auf Konten überwiesen wurde. Er behauptet auch, stets ordnungsgemäß versteuert zu haben, obwohl er früher bestritten hatte, überhaupt Geld erhalten zu haben. "Er hat mich betrogen", sagte er und gab vor, nichts von schwarzen Kassen gewusst zu haben. Dabei musste Bárcenas schon 2009 offiziell vom Schatzmeisterposten zurücktreten, weil ein Unternehmer in einem aufgezeichneten Gespräch angab, ihm 1,3 Millionen Euro übergeben zu haben. Rajoy stellte sich als Opfer von "bösartigen Unterstellungen" dar. Damit werde nicht nur das Ansehen des Landes, sondern in der schweren Krise auch die wirtschaftliche Stabilität untergraben.

Opposition erwägt ein Misstrauensvotum

Einen Rücktritt lehnte er ab und behauptete, es habe keine parallele Buchführung gegeben, dabei wurde die längst veröffentlicht und vom ehemaligen Schatzmeister bestätigt. Die Opposition fordert ihn auf, endlich Konsequenzen zu ziehen und zurückzutreten. Oppositionsführer Alfredo Pérez Rubalcaba hielt ihm vor, noch im Frühjahr in veröffentlichten SMS-Kurznachrichten Bárcenas zum "Durchhalten" aufgefordert zu haben, obwohl die Millionen in der Schweiz bereits gefunden worden waren. Sprach Rajoy im Parlament distanziert von "Herr Bárcenas", schrieb er ihm noch im März: "Luis, die Sache ist nicht einfach, aber wir tun, was wir können. Kopf hoch." Bárcenas hatte Angst vor einer Inhaftierung und verlangte Schutz, weil immer neue Fakten ans Licht kamen. Er wollte nicht zum "Sündenbock" gestempelt werden.

"Sie sind gekommen, um Ihren Kopf zu retten", sagte deshalb der Sozialist Rubalcaba zu Rajoy. "Sie schaden dem Land, deshalb fordere ich Sie zum Rücktritt auf". Er warf ihm vor, mit Schwarzgeld "gedopt" nur illegal den Wahlkampf gewonnen zu haben. Der Chef der Vereinten Linken Cayo Lara fragte Rajoy zudem, warum die PP nie Bárcenas verklagt hat, den sie nun einen unglaubwürdigen "Kriminellen" nennt, dafür aber gegen die große Tageszeitung El País vorgeht. Die hatte schon im Januar Kopien der parallelen Buchführung des Schatzmeisters veröffentlicht.

Lara nannte Rajoy "korrupt" und einen "Lügner". Er und sie PP hätten Bárcenas noch unterstützt, nachdem sein "kriminelles Vorgehen" längst bekannt war. "Welches Abkommen gibt es zwischen Ihrer Partei und Bárcenas" fragte er. Lara forderte auch "Neuwahlen", weil Rajoy die Wähler belogen und mit Steuererhöhungen, Bankenrettung und Einschnitte ins Sozialsystem zentrale Wahlversprechen gebrochen habe. Wie er wiesen auch andere darauf hin, dass Spanien mit Rajoy in Europa kein Vertrauen zurückgewinnen könne. "Sie sind nicht mehr glaubwürdig", sagte Lara. Sein Fraktionskollege Chesús Yuste sagte, nun sei wohl allen in Europa klar, "warum in Spanien pharaonischen Projekte durchgezogen wurden". Niemand in Europa könne noch verstehen, warum Rajoy nicht längst zurückgetreten sei, fügte er an.

Angesichts der "beschämenden" Vorstellung von Rajoy schließt die Opposition nun nicht aus, doch noch einen Misstrauensantrag zu stellen. Die schwarzen Kassen werden also noch länger für Wirbel sorgen und Spanien nicht der benötigten Stabilität näher bringen. Ohnehin hatte erst diese Drohung dafür gesorgt, dass es zur Anhörung im Parlament kam. Rajoy wollte die Krise weiter aussitzen. Dass er die Sitzung aber auf den 1. August legte, wenn Spanien in den Urlaub geht, hatte für zusätzlichen Unmut gesorgt. Zudem missbrauchte er die Aussprache auch für andere Themen, meint die Opposition. Rajoy verkündete, dass im Urlaubsland im Juli die Arbeitslosigkeit wegen vieler temporärer Stellen in der Tourismusindustrie um 63.000 zurückgegangen sei. Trotz allem steht das Land mit noch immer fast sechs Millionen Arbeitslosen und einer Quote von 26,3% mit Griechenland an der europäischen Spitze.