Brain Drain: Portugal blutet aus

Sparprogramme, fehlende Investitionen, steigende Arbeitslosigkeit, soziale Konflikte treiben gut ausgebildete junge Leute aus dem Land

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Die größte portugiesische Gewerkschaft hat einen neuen Generalstreik für das südeuropäische Land angekündigt. Am 29. März will die kommunistisch orientierte CGTP erneut das Land lahm legen, nachdem das schon im November weitgehend gelungen ist. Anknüpfen will die Gewerkschaft auch an die Proteste vom vergangenen Wochenende. Etwa 300.000 Menschen waren dem CGTP-Aufruf gefolgt und haben gegen die Arbeitsmarktreform protestiert. Es war die größte Demonstration in den letzten 30 Jahren im Land.

Allerdings will sich die zweitgrößte Gewerkschaft diesmal nicht erneut am Ausstand beteiligen. Die UGT spricht von einem "Pseudo-Streik". Das Führungsmitglied Joao Proenca wirft der CGTP eine Konfrontationsstrategie vor. Die UGT hatte mit den Arbeitgebern im Januar ein Abkommen geschlossen, um die Regeln am Arbeitsmarkt zu lockern. Kündigungen werden einfacher und einige Feiertage abgeschafft, es gibt weniger Urlaub. Dieses Abkommen ist Teil der Arbeitsmarktreform der konservativen Regierung.

Der letzte Tropfen, der die CGTP zum Generalstreik treibt, sind die fatalen Arbeitsmarktzahlen, die am Donnerstag veröffentlicht wurden. Demnach waren am Jahresende 14% der Bevölkerung ohne Job. Alle Reformen haben nicht dazu geführt, dass neue Stellen entstehen. Auch die Senkung des Mindestlohns trägt angesichts einer abstürzenden Wirtschaft nicht dazu bei, dass die Beschäftigung zunimmt. Im vierten Quartal 2011 ist die Wirtschaftsleistung gegenüber dem Vorjahreszeitraum schon um 2,7% geschrumpft. Auch für den neuen Mindestlohn von 475 Euro im Monat gibt es keine Jobs. Dabei wären oft auch Hochschulabgänger bereit, sich an eine Kasse zu setzen oder in einer Kneipe zu bedienen. Angesichts fehlender Perspektive kehren deshalb immer mehr Portugiesen ihrem Land den Rücken zu. Antonio Fernandez Andrade hatte sich schon vor gut fünf Jahren nach Spanien aufgemacht, um dort im gutes Geld zu verdienen.

Doch dort ist 2008 die Immobilienblase geplatzt und er schlägt sich seit Jahren nur noch mit Gelegenheitsjobs durch. Er sitzt mit seiner Frau Nulia und drei Kindern längst auf gepackten Koffern. "Nach Portugal gehe ich keinesfalls zurück", sagt er Telepolis, "dort ist die Lage fatal." Sein Bruder ist in die USA gegangen, aber er will nach Brasilien, weil dort die Wirtschaft brumme. Das ist einfacher, weil seine Frau Brasilianerin ist. Als sie vor vielen Jahren illegal nach Spanien kam, hätte sie sich nicht einmal im Traum vorstellen können, dass nun Portugiesen auf Arbeitssuche in die ehemaligen Kolonien ziehen.

Auch die Architektin Rita Bibe Costa ist nach Brasilien ausgewandert und schon vor ihrer Abreise hatte sie einen festen Arbeitsvertrag in der Tasche. Davon hätte sie in Portugal nur träumen können. Wie viel sie in dem Land verdienen wird, in das schon 200.000 Landsleute ausgewandert sein sollen, sagt sie nicht. Es seien aber mehr als die 800 Euro, die sie nach fünf Jahren Berufserfahrung in Portugal verdienen kann.

Neben Brasilien ist Angola ein gelobtes Land für Portugiesen. In dieser ehemaligen Kolonie wird ebenfalls Portugiesisch gesprochen, womit Sprachprobleme wegfallen. Auch in Angola werden gut ausgebildete junge Portugiesen gesucht, denn das Land verzeichnet seit dem Ende des Bürgerkriegs 2003 zweistellige Wachstumsraten. Es verfügt über große Ölvorkommen und ein junger Ingenieur, der in Portugal etwa 1.000 Euro verdient, kommt in Angola auf 3.000 Euro. So ist es kein Wunder, dass die Auswanderungswelle anschwillt. Wurden 2006 noch 156 Visaanträge von Portugiesen genehmigt, waren es 2010 schon gut 23.000.

Mario Bandeira vom Institut der Arbeits- und Unternehmenswissenschaften schätzt, dass die Zahl schon auf über 100.000 angewachsen ist. Insgesamt sollen bis Ende 2010 mehr als 300.000 Portugiesen das Land verlassen haben. Lange Schlangen vor den brasilianischen und angolanischen Botschaften zeigen, dass sich der Trend verstärkt. Portugal läuft damit die Zukunft davon, denn anders als in den 1960er Jahren sind es nun oft gut ausgebildete junge Leute mit viel Initiative, die ihr Heil in Übersee suchen.

Das Land selbst hat immer weniger zu bieten. Es zeigt sich, dass es keine Lösung ist, schlicht Löhne und Sozialleistungen zusammen zu streichen. Wenn keine Perspektiven geschaffen werden, sieht die Zukunft finster aus. Portugal verliert auch Investitionen. Noch im Februar 2011 wurde angekündigt, dass eine Allianz aus Renault-Nissan in Cacia für 156 Millionen Euro ein neues Werk zur Herstellung von Lithium-Ionen-Akkus bauen wolle. 200 direkte Arbeitsplätze solltn geschaffen werden, um die Speicher für leise und umweltfreundliche Elektroautos herzustellen. Lissabon wollte zudem ein Netz von 1.300 Ladestationen für Elektro-Autos aufbauen. Kürzlich wurde das Projekt gestoppt. Die Akkus werden nur noch in den Werken in Frankreich und England hergestellt. An hohen Löhnen kann es nicht liegen, in Frankreich liegt der Mindestlohn über 1.200 Euro. Ohne ins Detail zu gehen, sprach Nissan von einem "rein portugiesischen Problem". An seinen Zielen bis 2016 etwa 1,5 Millionen Elektro-Autos verkaufen zu wollen, hält die Allianz jedenfalls fest.