Spanien fürchtet wegen EU-Entscheidung um seine Werften

Brüssel fordert die Rückzahlung von illegal gewährten Steuererleichterungen; befürchtet wird, dass 90.000 Arbeitsplätze gefährdet sind. Investoren nutzten den Schiffbau als Steuersparmodell

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Die gesamte spanische Werftindustrie ist in Aufruhr und mit ihr die Regionalregierungen in den Regionen, in denen die Werften angesiedelt sind. Der spanische EU‑Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia hält an seiner Position fest, gewährte Steuererleichterungen seien illegal gewesen und der spanische Staat müsse die gewährten Hilfen zurückverlangen. Nach Schätzungen wird eine Summe von knapp drei Milliarden Euro veranschlagt. Seine Ansicht hat Almunia am Freitag im baskischen Seebad Donostia-San Sebastian vertreten. Er wurde von wütenden Beschäftigten der Werften empfangen, die um ihre Arbeitsplätze bangen.

Schon am Vortag hatte Almunia in Brüssel seine Einschätzung dem spanischen Industrieminister José Manuel Soria, den Regierungschefs aus dem Baskenland, Galicien und Asturien sowie den Chefs den großen spanischen Gewerkschaften dargelegt. Gemeinsam hatte diese Aktionseinheit versucht, den EU-Kommissar davon zu überzeugen, von Rückzahlungen abzusehen. Damit würden die knapp 90.000 Arbeitsplätze gefährdet, die es in dem einst so bedeutsamen Sektor in Spanien noch gibt, weil allen Werften die Schließung drohe. Das sei angesichts sechs Millionen Arbeitsloser untragbar, erklärten unisono Gewerkschafts- und Regierungsvertreter. Sie verwiesen auch aufs Nachbarland Frankreich. Dort seien die Werften von einer Rückzahlung in Höhe 25 Milliarden Euro befreit worden seien, entsprechend wird "Gleichbehandlung" gefordert.

EU‑Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia versucht zu beruhigen

Almunia nutzte die Gelegenheit, bevor er am Freitag einen Vortrag zu Europa im Rahmen der baskischen Sommeruniversität hielt, um erneut mit Gewerkschaftsvertretern zu sprechen. "Die Werften sind nicht in Gefahr", erklärte er. Er forderte die Beschäftigten zur "Gelassenheit" auf. Es werde von "einigen Angst geschürt, die von der eigenen Verantwortung ablenken wollen", sagte der Wettbewerbskommissar mit Blick auf Investoren. "Weder die Werften noch die Reedereien müssen einen Euro zurückzahlen", verwies er auf die Beschlussvorlage. Über die wird die EU-Kommission am kommenden Mittwoch in Brüssel definitiv entscheiden und allgemein wird erwartet, dass Almunias Vorschlag gefolgt wird.

Man solle sich nicht von denen "betrügen" lassen, die ihre Steuern nicht bezahlt haben, sagte er im Baskenland, wo es noch etwa 15.000 Stellen gibt. Almunia spielte auch darauf an, dass Spanien die Steuereinnahmen angesichts leerer Kassen, eines Haushaltsdefizits von 10,6 %, steigender Schulden und Einschnitten im Sozialsystem gut gebrauchen kann. Die Summe müssten zudem nur die aufbringen, die Steuern über ein kompliziertes Finanzinstrument (tax lease) zwischen 2005 und 2012 illegal eingespart haben, bekräftigt er.

Angst um Investoren und die Blamage der Werften

Die spanischen Gewerkschaften, die sonst weniger Verständnis für Banken oder große Fonds aufbringen, halten in einer seltsamen Einheit mit Regierungsvertretern daran fest, auch "Investoren" müssten von Rückzahlungen befreit werden. Ramón Sarmiento, Vertreter der großen CCOO, meint, dass sonst der gesamte Sektor "den Bach runter geht, wenn eine der Säulen geschwächt werde, auf denen er sich stützt".

Der Vertreter der spanischen UGT für die Werften befürchtet vor allem, dass es zu einem langen juristischen Konflikt komme, der "Investoren vertreibt". Seit Brüssel das Verfahren 2011 eingeleitet hat, hätten allein die Werften in Galicien Aufträge zum Bau von 54 Schiffen verloren, wird argumentiert. Einige Werften sind nach Angaben des Industrieverbandes Asime schon ohne Aufträge. Allerdings muss auch gesagt werden, dass spanische Werften sich kürzlich blamiert haben. Mit dem Bau eines übergewichtigen U-Boots, das nur einmal taucht und dann auf den Boden sinkt, hat man sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Manuel Velado argumentiert mit der Unsicherheit. Bis zur Klärung der Vorgänge würden keine neuen Schiffe in Auftrag gegeben, worunter auch baskische Werften zu leiden hätten, deren Produkte eigentlich sehr gefragt seien. Velado benannte auch einige Investoren beim Namen, die nun Steuern nachzahlen müssen, wenn Brüssel an seiner Linie festhält. "Wir sprechen von bekannten Unternehmen, wie die Santander-Bank, dem Corte Inglés, Sara und Inditex", erklärte der UGT-Vertreter und forderte von Ministerpräsident Mariano Rajoy, "alle Druckmittel einzusetzen", um diesen Streit so schnell wie möglich beizulegen.

Schiffbau als Steuersparmodell genutzt

Bei diesen Firmen handelt es sich aber um solvente große Unternehmen, die offenbar den Schiffbau als Steuersparmodell genutzt haben. Santander ist die größte Bank im Land und gehört nicht zu denen, die bisher Finanzhilfen erhielten und schreibt weiter Gewinne. Sara gehört zum Inditex-Konzern, der seine Gewinne sogar in der Krise enorm steigern konnte. Der Besitzer ist Amancio Ortega, der zum reichsten Mann Europas aufgestiegen ist. Allein im vergangenen Jahr hat er sein Vermögen um 19,5 Milliarden auf geschätzte 57 Milliarden Dollar gesteigert.

Es dürfte für den drittreichsten Mann der Welt kein Problem sein, illegal gesparte Steuern nachzuzahlen und das dürfte auch für die Santander-Bank oder die Kaufhauskette Corte Inglés gelten. Dass Banker von der Regierung geschützt werden, ist bekannt und im Fall von Santander sogar durch eine illegale Begnadigung aufgefallen.

Dass die spanischen Gewerkschaften plötzlich deren Steuersparmodelle verteidigen, ist eher erstaunlich. Sie stellen sich vor allem eine Frage. Wer gibt Geld für den Schiffbau in Europa, wenn der sich nicht mehr als Steuersparmodell eignet? Die Gewerkschaften befürchten, dass dann bald alle Schiffe in Billiglohnländern wie Korea oder China gebaut werden. Sie warnen vor einem Bumerang-Effekt für die Niederlande, denn auf eine niederländische Klage geht der Vorgang zurück.