"Muslime würden das auch nicht akzeptieren"

Der Präsident der katholischen Liga in den USA bezeichnet ein Kunstwerk als "Hasspredigt"; Politiker folgen seiner Forderung nach Entfernung eines Videos, in dem eine Jesusfigur von Ameisen überlaufen wird. Die Aussteller entfernen das Kunstwerk

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Eine bemerkenswerte Ausdehnung des Begriffs "Hasspredigt" liefert der Präsident der katholischen Liga ( Catholic League "For Religious and Civil Rights") in den USA, William Donohue: Er bezeichnet ein Kunstwerk, genauer ein Kunst-Video, als solche und bedrängte in Einklang mit Politikern das ausstellende Museum, das "abscheuliche Video" zu entfernen.

Als Kriterien für die Entfernung führt Donohue zunächst Ehrbarkeit ("honesty") und "common sense" an. Wohl wissend, dass dies außerhalb der Kanzelpredigten keine Kriterien für die Beurteilung von Kunst sind, hilft sich Donahue mit einem Verweis auf die Empfindlichkeit von Muslimen in solchen Angelegenheiten:

"Ich weiß, so gut wie meine Kritiker auch, wenn es Mohammed gewesen wäre, den man dabei zeigt, wie er von Ameisen gefressen wird, dann würden Muslime niemals zulassen, dass man ihnen erwidert, dass die Beleidigung nicht beabsichtigt war. Also was war dieses abscheuliche Video dann? Ein Weihnachtsgeschenk für Christen. Es war eine Hasspredigt, ganz simpel und völlig klar, und es sollte nicht von 80 Prozent der Landesbewohner, die Christen sind, finanziell unterstützt werden.".

Ernstzunehmende moderne Kunst macht nervös. Das von Donahue und republikanischen Abgeordneten beanstandete Video von David Wojnarowicz löst dieses Kriterium ein. Das Video "Fire in my Belly" zeigt neben anderen, die alltäglichen Erwartungen an Filmclips verstörenden, Sequenzen auch Aufnahmen einer hölzernen Christus-Figur in einem Meer von Ameisen; ein paar Ameisen krabbeln über die Figur, aus der Blut fließt - das Ganze in einem Kontext, der von Schmerz und Tod kündet - darf die Kunst doch?

Es ist beinahe 50 Jahre her, dass Susan Sonntag von einer Zeit schrieb, in der "interpretatorische Unternehmungen größtenteils reaktionär, stickig" sind. Nur in manchen kulturellen Umgebungen sei sie ein befreiender Akt; in anderen trivial und erbärmlich. Offensichtlich führt die Renaissance religiöser Kriterien in öffentlichen Diskussionen zu der neuerlichen Abstumpfung, die nicht weiter bemerkenswert wäre, ginge sie nicht Hand in Hand mit politischen Hygienemaßnahmen.

Laut Washington Post befinden sich unter den Politikern, die das Video aus einer größeren Ausstellung der National Portrait Gallery entfernt haben wollten, auch namhafte Persönlichkeiten wie John A. Boehner, der wahrscheinlich neuer Sprecher des Abgeordnetenhauses werden wird. Boehners Sprecher ließ mitteilen, dass "amerikanische Familien ein Recht darauf hätten, Besseres von Empfängern von Steuergeldern zu erwarten, zumal die Zeiten hart sind."

Auf den Einwand reagierend, dass die Ausstellung von Privatleuten finanziert wurde, und Steuergelder in diesem Fall nicht die Ausstellung selbst, sondern nur den allgemeinen Unterhalt des Museums bezahlen, sagte Sprecher Smith weiter:

"Während die tatsächliche Geldsumme gering sein mag, ist das symbolisch für die Arroganz, die die Regierung in Washington regelmäßig in Taten umsetzt, wenn sie über das hart verdiente Geld der Amerikaner entscheidet."

Die ausstellende Gallerie gehört zum Smithsonian Museum, das mit etwa 70 Prozent aus Steuereinahmen finanziert wird. Ausstellungen werden damit aber keine finanziert, berichtet die Washington Post, die angesichts der neuen Mehrheitverhältnisse nach den Midterm-Wahlen einen neuen "Kulturkampf" erwartet.

Die Ausstellungsleiter haben das Video übrigens aus der Austellung entfernt. Begründung: Man wolle nicht, dass nun alle öffentliche Aufmerksamkeit auf dieses eine kleine Werk in der großen, in allen Kritiken so sehr gelobte, Ausstellung gezogen wird. Auch hier also die Vernuft des "größeren Ganzen". Dass sich darüber nun wenigstens heftiger Streit entspinnt, lässt hoffen.