Konflikt um französische Rentenreform spitzt sich weiter zu

Während die Versorgung mit Treibstoff zusammenbricht, geht die Polizei zunehmend gewaltsam vor

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Der Konflikt um die "Mutter aller Reformen", wie Nicolas Sarkozy seine Rentenreform nennt, wächst dem kleinen Franzosen über den Kopf. Die Gewerkschaften beschränken sich angesichts der unnachgiebigen und autokratischen Haltung der Regierung längst nicht mehr mit einzelnen Aktions- und Streiktagen. Inzwischen wird in einigen Sektoren schon dauerhaft gestreikt und der Streik hat sich, weil sich Schüler und Studenten angeschlossen haben, längst deutlich verjüngt. Zeigen wird sich das heute erneut, wenn es an diesem Aktionstag in 230 Städten zu Demonstrationen kommen wird.

Das größte Problem findet die Regierung aber nicht mehr allein in der Tatsache, dass sich Millionen an den Protesten beteiligen und die Ablehnung der Reform bei 70% liegt, weil das freiwillige Renteneintrittsalter auf 62 Jahre und angehoben werden soll. Um eine Vollrente zu erhalten, soll künftig sogar bis 67 gearbeitet werden. Damit sollen massiv Rentenleistungen gekürzt werden, weil es in vielen Berufen unmöglich ist, so lange zu arbeiten, wenn man nicht ohnehin lange vor dem Renteneintritt arbeitslos wird. Auch Paris argumentiert mit der Mär der Unbezahlbarkeit der Renten, welche die Staatsschulden explodieren lasse, obwohl es dafür vor allem andere Ursachen gibt.

Das Problem der Regierung ist nun, dass alle zwölf Raffinerien des Landes sowie andere Öl-Depots und Häfen bestreikt werden, weshalb der Nachschub mit Treibstoff zusammenbricht. "Es gibt sehr viele Tankstellen, die geschlossen sind, weil sie keinen Nachschub bekommen", //www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5gQZwFymV2ILJELx9HmY1W-8S_oXA%3FdocId%3DCNG.9bfc3622772d1720067c87696fba2eab.f51&sa=X&ei=rV25TLGuG82cOo-g7YcN&ved=0CDAQqQIoAzAB&usg=AFQjCNEjk5hWElikDqzKyaAT-wE_m1Av0g: sagte ein Vertreter des Kraftstoff-Importverbandes UIP der Nachrichtenagentur AFP.

Nach Berichten in französischen Medien reichen die Kerosinreserven an einigen Flughäfen nur noch für zwei Tage. Die Pipeline zu den beiden großen Pariser Flughäfen haben streikende Arbeiter abgedreht. Die Flugaufsicht empfahl im Ausland startenden Flugzeugen inzwischen, vor dem Flug nach Frankreich mehr Treibstoff zu tanken, um in Frankreich nicht nachtanken zu müssen.

Inzwischen beginnt die Polizei immer rabiater vorzugehen. Geräumt wurden Blockaden, mit denen Streikende die Auslieferung aus Öldepots verhinderten. Die Räumungen hatte die Regierung nach einem Treffen der zuständigen Minister verfügt. "Wir können uns eine Benzinknappheit nicht leisten", sagte Verkehrsstaatssekretär Dominique Bussereau im Fernsehen. Er versicherte zudem, dass es an diesem Wochenende keine Versorgungsprobleme geben werde. Wie er das umsetzen will, wird sich zeigen, denn nach den Räumungen weichen die Streikenden einfach auf andere Lager aus. Zudem haben die Gewerkschaften die Beschäftigten im Transportwesen aufgerufen, die Aktionen am Wochenende zu verschärfen und auch Straßen zu blockieren. Welche Wirkung es angesichts der explosiven Stimmung im Land haben könnte, wenn die Polizei schließlich Streikende und blockierende Arbeiter brutal angreift, konnte sogar im beschaulichen Stuttgart beobachtet werden.

Bisher ist die Polizei mit großer Gewalt vor allem gegen Jugendliche vorgegangen, die ebenfalls immer stärker das Anliegen der Eltern verteidigen. Bei Paris wurde in Montreuil ein Schüler durch ein Gummigeschoss schwer verletzt. Der 16-Jährige sollte am Freitag operiert werden. Es wird nicht ausgeschlossen, dass er ein Auge verlieren wird. Das Geschoss hat ihm zudem etliche Knochen im Gesicht gebrochen (Nase, Sinus und Backenknochen).

Sogar der Innenminister Brice Hortefeux musste seine Polizei zur Mäßigung rufen. Er forderte von den Polizisten, "den Einsatz von Gewalt auf das strikt Notwendige zu begrenzen". Die Polizei müsse die Eigenart dieser Proteste beachten. Soweit wie die Polizeidirektion von Paris wollte er aber nicht gehen, denn die hat den Einsatz von Gummigeschossen vorerst verboten. Das Vorgehen in Montreuil hat inzwischen schon zu einer Radikalisierung der Jugendlichen geführt. Beim gewaltsamen Vorgehen von Jugendlichen wurden inzwischen auch Polizisten verletzt. Bei den 13 Verletzten in drei Departements um Paris machte die Polizei aber keine Angaben zu den Verletzungen. Mehr als 150 Jugendliche wurden festgenommen. Es sind schon Fälle bekannt, wo sie in Schnellverfahren zu Haftstrafen verurteilt wurden.