Ein Mörder, kein Verfassungsschützer

Das Urteil gegen den ehemaligen uruguayischen Diktator Bordaberry könnte Auswirkungen auf die aktuelle Politik in Lateinamerika haben

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Der Umbruch in Lateinamerika zeigt sich auch im Verhältnis zur Vergangenheit. Zum ersten Mal in der Justizgeschichte des Kontinents ist vor wenigen Tagen ein ehemaliger Diktator wegen Verfassungsbruchs zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Ein Gerichtshof in Montevideo schickte Juan María Bordaberry am 23. März für 30 Jahren in Haft. Die Juristen sahen es bereits beim Urteil im Februar als erwiesen an, dass der rechtskonservative Politiker 1973 die Verfassung des südamerikanischen Landes aushebelte, um eine zivil-militärische Diktatur zu errichten, die bis 1985 andauerte.

Die nun verhängte Strafe wurde von den Richtern mit Bordaberrys "Angriff auf die Verfassung" begründet. Verurteilt wurde der inzwischen 81-jährige zudem wegen neun nachgewiesenen Fällen von Kidnapping in Zusammenhang mit dem Mord der Verschleppten und zwei weiteren politischen Morden. Bordaberry sitzt wegen politischen Gewaltverbrechen bereits seit November 2006 in Haft, seit Januar 2007 verbüßt er seine Strafe aus gesundheitlichen Gründen im Hausarrest.

1973 hatte der Politiker die verfassungsmäßige Ordnung während seiner legitimen Präsidentschaft, die er seit dem 1. März 1972 innehatte, außer Kraft gesetzt. Er ebnete damit den Weg für eine Diktatur, deren Opfer er schließlich selbst wurde: Mitte Juni 1976 entmachtete das Oberkommando der Armee den Putschisten und ersetzte ihn durch die willfährigen Zivilisten Alberto Demichelli (1976) und Apricio Méndez (1976-1981). Bis zum Ende der Diktatur vier Jahre später herrschte der Oberkommandierende der Armee, General Gregori Álvarez. Nach heutigen Erkenntnissen war Uruguay allein zwischen 1973 und 1976 das Land in der Region mit den meisten politisch Inhaftierten und Folterfällen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung.

Eine entscheidende Rolle im Strafverfahren gegen Bordaberry spielten freigegebene geheimdienstliche und diplomatische Dokumente aus den USA. Unter den insgesamt 70 Akten, die vom regierungsunabhängigen Nationalen Sicherheitsarchiv an der George-Washington-Universität mit Hilfe des US-amerikanischen Informationsfreiheitsgesetzes zusammengetragen wurden, befanden sich mehrere Berichte des Washingtoner Botschafters in Montevideo, Ernest Siracusa, an den damaligen Außenminister Henry Kissinger. Diesen Dokumenten zufolge erklärte der Diktator dem US-Botschafter Ende Juni 1973, "dass die demokratischen Traditionen und Institutionen selbst die eigentliche Gefahr für die Demokratie sein". Seiner Ansicht nach sei es Bordaberry gewesen, der die Order zur Auflösung des Kongresses gegeben habe, schrieb Siracusa seinen Vorgesetzten.

Der Sturz der Demokratie zur Rettung der Demokratie? Die Argumentation weist eine erstaunliche Analogie zur Argumentation der Putschisten in Honduras auf, die nach Jahren scheinbarer Stabilität in Lateinamerika Ende Juni 2009 den letzten demokratisch gewählten Präsidenten des Landes, Manuel Zelaya, stürzten. Auch in der Hauptstadt Tegucigalpa hieß es daraufhin, man habe erst durch den Putsch und die gewaltsame Ausweisung des Staatschefs die Demokratie gerettet. Die Begründung ist nicht neu: Ob in Chile oder Uruguay 1973 oder in Argentinien wenige Jahre später: Die Verschwörer sahen sich stets im Recht.

Das Urteil von Montevideo könnte deswegen mittelfristig erhebliche Folgen für die Verantwortlichen in Honduras haben. Zwar ist die Staatsanwaltschaft des mittelamerikanischen Landes noch unter der Kontrolle der Putschisten und ihrer aktuell regierenden Anhänger. Aktivisten der Demokratiebewegung und internationale Menschenrechtsorganisationen erwägen jedoch schon Klagen gegen den mehrere Monate herrschenden Diktator Roberto Micheletti und die Militärspitze vor internationalen Tribunalen.

Eine solche juristische Aufarbeitung dürfte nicht nur für die Umstürzler selbst unangenehm werden, sondern auch für die deutsche Friedrich-Naumann-Stiftung. Die FDP-nahe Organisation verteidigt den Staatsstreich nach wie vor, weil er, so Regionalvertreter Christian Lüth, die Chance auf eine "Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen" geboten habe.