Schall und Rauch in Luxemburg

Bombenserie war offensichtlich inszenierter Inside-Job

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Nach nunmehr 39 Prozesstagen verdichten sich die Anzeichen dafür, dass die unbekannten Täter bei den Anschlägen zwischen 1984 bis 1986 über erstaunliches Insiderwissen verfügt haben mussten, an der vorgeblichen Erpressung und tatsächlichen Schäden jedoch kein Interesse hatten.

Bei den Aktionen gegen die Strommasten eines Energieversorgers hatte der Staat Luxemburg sich für das scheinbar zu erpressende Geld verbürgt, jedoch scheiterten sämtliche Übergaben. In einem Fall sollte die Geldtasche nach dem Willen der Erpresser in einer Tiefgarage ausgerechnet an der einzigen Stelle deponiert werden, die von einer Überwachungskamera erfasst wurde, welche das Bild in den Kassenraum übertrug. Dort saß auch der damalige Chef der Spezialeinheit Brigade Mobile Pierre Reuland, der sich jedoch angeblich nicht mehr an die Kamera erinnern kann. Reuland stieg später zum Polizeigeneraldirektor auf. Ein unbekanntes Fahrzeug, das einem Geldboten folgte, scheint eines des Geheimdienstes SREL gewesen zu sein.

In den bemerkenswert zahlreichen wie geschwätzigen Erpresserschreiben zählten die erstaunlich gut informierten Unbekannten die bei den Geldübergaben im Einsatz befindlichen Einsatzkräfte auf und waren sogar trotz Funkstille darüber im Bilde, dass deutsche Polizisten in zivil anwesend waren. Die weit verstreuten Kräfte des MEK Mainz hätten von einem Beobachter kaum überblickt werden können. Nach Einschätzung des BKA hatten die Briefeschreiber niemals eine ernsthafte Absicht, tatsächlich Lösegeld zu erpressen. Die Täter erleichterten den Behörden zuvorkommend den Ausschluss von Trittbrettfahrern, in dem sie bei ihren Schreiben einen Erkennungscode verwendeten.

Auch der Anschlag auf das normalerweise rund um die Uhr bewachte Gendarmeriehauptquartier in Verlorenkost auf zwei mit der Angelegenheit befasste Polizisten spricht für einen Inside-Job, da die Täter offenbar über gute Kenntnisse der ungünstigen Örtlichkeiten, der Arbeitszeiten und der fehlenden Bewachung verfügten. Ebenso scheinen die Unbekannten beim Anschlag auf den Strommast bei Itzig gewusst zu haben, dass dieser nicht bewacht wurde. Bei der Aktion gegen die unterirdische Gasleitung in Hollerich scheinen sich die Täter ebenfalls genauestens ausgekannt zu haben.

Erstaunlich ist, dass bei der heimtückischen Sprengfalle von Asselscheuer keine Toten zu beklagen waren. Zeugen hatten 1.600 Meter entfernt von einem von der Polizei und Armee bewachten Gebiet eine verdächtige rote Lampe bemerkt und die Polizei alarmiert. Hätten sich die Einsatzkräfte nicht von der gegenüberliegenden Seite dem Objekt genähert, hätten sie einen gespannten Stolperdraht ausgelöst, der wiederum mit Dynamitstangen verbunden war. An den Dynamitstangen waren die Kennnummern unkenntlich gemacht worden, was bei planmäßiger Explosion überflüssig gewesen wäre. Ob der zur Zündung erforderliche Stromkreis tatsächlich geschlossen war, blieb streitig.

In der gleichen Nacht ereignete sich der Anschlag in den Kasematten, bei dem die Täter gezielt ihnen offenbar bekannte Telefonleitungen beschädigten. Bei dem Anschlag hätten zumindest dem äußeren Anschein nach zwei Tanks mit einem Benzin-Öl-Gemisch in Flammen aufgehen und ein Rauchspektakel entfachen sollen, jedoch waren die Sprengschnüre zur Zündung nicht geeignet und die Kanister umgekippt. Wäre es zur Reaktion gekommen, so hätte der aus allen Öffnungen der Kasematten qualmende Rauch zwar ein beeindruckendes Schauspiel geboten, wäre aber nicht zerstörerisch gewesen. Einer der beobachteten Täter soll mit einem Funkgerät Schmiere gestanden haben. Das mögliche Abhören des Polizeifunks stützt die These, die Sprengfalle in Asselscheuer sei nur ein Ablenkungsmanöver gewesen, das Einsatzkräfte gebunden habe. Für aktiven Gebrauch von Funk wären abhörsichere Funkgeräte zweckmäßig gewesen, die Zivilisten damals kaum besaßen. Der Luxemburger Geheimdienst SREL verfügte allerdings über solche Geräte. Erstaunlicherweise wurde von den Phantombildern der offenbar vier Täter kaum Gebrauch gemacht. Insbesondere das Bild des Mannes mit dem Funkgerät kam nicht in die Presse.

Auch bei den anderen Anschlägen deuten zahlreiche Hinweise auf Insiderwissen. Vor dem Attentat auf die Olympische Schwimmhalle auf Kirchberg soll die deutsche Polizei den Kollegen einen Hinweis auf Terroristen gegeben haben. Auch der Einbruch in die Gipsmine zum Diebstahl diverser Sprengmittel ist ohne Insiderkenntnisse nur schwer vorstellbar.

Alles in allem scheinen die Attentate in erster Linie für die Öffentlichkeit begangen worden zu sein, was für eine psychologische Kriegsführung spricht. Das in den Kasematten vorbereitete Rauchspektakel erinnert an klassische militärisches Ablenkungsmanöver. Damals wurden in der Presse Links- oder Ökoterroristen verantwortlich gemacht. Einen unmittelbaren Nutzen von der verbreiteten Angst hatten jedenfalls die Sicherheitsbehörden, deren Etat deutlich aufgestockt wurde. Dann wäre die Geschichte lediglich eine Polizeiklamotte, wie sie in der schwedischen Filmsatire „Kopps“ aufs Korn genommen wurde.

Eine derartig langfristige Täuschungskampagne zugunsten besserer Polizeiausstattung wäre jedoch ohne Beispiel. Die Anwälte der beiden angeklagten Polizisten sehen denn auch in den Attentaten eine militärische Handschrift. Inszenierte Attentate zur psychologischen Beeinflussung der öffentlichen Meinung gehören zum Standardrepertoire von Militär und Geheimdiensten. So fanden etwa der US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger und sein schwedischer Kollege Anfang der 1980er Jahre nichts dabei, die Bevölkerung vor vermeintlich russischen U-Booten zu verängstigen, die in schwedischen Hoheitsgewässern herumschnorchelten. Tatsächlich waren es U-Boote der NATO.

Bereits in den ersten Prozesstagen hatte jemand beklagt, angesehene Persönlichkeiten wüssten mehr, als sie preisgeben wollten - Generalstaatsanwalt Robert Biever. Sein beigeordneter Kollege Georges Oswald orakelte am Mittwoch, „dass man noch sehen werde, wo man verschiedene Personen platzieren würde“.