Bundesverfassungsgericht kippt Fünfprozenthürde bei Europawahlen

Ergebnis von 2009 bleibt trotz grundgesetzwidrigem Wahlrecht gültig

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Das Bundesverfassungsgericht hat heute nach langer Beratungszeit über ein Problem entschieden, über das auch Telepolis mehrfach berichtet hat: Bei der Europawahl gilt nämlich eine Fünfprozenthürde, obwohl dort die Argumente, mit denen sie im Bund und in den Ländern eingeführt wurde, überhaupt nicht greifen. Denn die Straßburger Abgeordneten wählen keine Regierung und sind auch mit der deutschen Fünf-Prozent-Klausel in viele verschiedenen Gruppierungen zersplittert.

Allerdings kam das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass das Wahlergebnis von 2009 trotz des grundgesetzwidrigen Wahlrechts gültig bleibt und nicht neu gewählt wird. Auch eine Berichtigung der Mandatsverteilung lehnten die Karlsruher Richter ab. Andernfalls hätten die Piratenpartei, die Freien Wähler, die ÖDP, die Tierschutzpartei, die Republikaner die Rentnerpartei und die Familienpartei ins Straßburger Parlament einziehen können, während Union, SPD, FDP, Grüne und Linke dort Sitze freimachen müssten. Die FDP dürfte sich über die Entscheidung trotzdem freuen – sie kann nun trotz der Koch-Mehrin-Affären und Umfragewerten von vier Prozent oder darunter mit einem Wiedereinzug ins Europaparlament rechnen, weil dazu künftig ein Ergebnis von etwa einem Prozent reichen dürfte.

Das Wissen darum könnte Bürger bei der nächsten Europawahl verstärkt dazu bewegen, ihre Stimmen weniger nach taktischen Überlegungen zu vergeben. Da der Entscheidungsspielraum des Gremiums sehr begrenzt ist, die Wahlbeteiligung traditionell niedrig liegt, und die etablierten Parteien sich in ihren Positionen zu europapolitischen Fragen noch weniger unterscheiden als sonst, war die Motivation, hier etwas Neues zu wagen, für viele Bürger bereits in der Vergangenheit höher als bei nationalen Wahlen.

In anderen Ländern als Deutschland ist das Parteienoligopol bei Europawahlen schon deutlich aufgeweicht: In Großbritannien erreiche die (bei nationalen Parlamentswahlen relativ unbedeutende) UK Independence Party 2009 etwa so viele Stimmen wie die damals regierende Labour Party und in Österreich steigerte die korruptionskritische Liste Hans-Peter Martin ihr 2004 vielerorts als Ausnahmeerscheinung gewertetes Ergebnis von 14 Prozent vor zwei Jahren auf fast 18.