Lateinamerika: Wulffs Werbetour mit Tücken

Der Bundespräsident warb in Mexiko, Costa Rica und Brasilien für mehr Kooperation. Die brisanten Themen wurden dabei ausgespart

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Dass Christian Wulffs jüngste Lateinamerika-Reise im Chaos endete, lag nur bedingt in der Verantwortung des deutschen Bundespräsidenten. Kurz vor Abflug aus dem brasilianischen São Paulo fiel ein Kühlaggregat an der Regierungsmaschine "Konrad Adenauer" aus. Wulff und seine Begleitung mussten per Linienflug nach Deutschland zurückkehren. Vorhergegangen waren Besuche in Mexiko, Costa Rica, die - ebenso wie in Brasilien - durchaus Kritik hervorriefen.

In Brasilien etwa mussten die Demonstranten vor dem Stahlwerk CSA von ThyssenKrupp vergebens auf den deutschen Präsidenten warten. Wulff hatte den Besuch kurzfristig abgesagt. Er protestierte damit gegen die unmittelbar zuvor angekündigte Entlassung von 35.000 Angestellten. Der Gast aus Deutschland entging so zugleich einer Konfrontation mit den Anwohnern des Mega-Stahlwerks, das pro Jahr fünf Millionen Stahlblöcke produzieren soll.

Tausende Fischerfamilien, die an der Bucht von Sepetiba, rund 70 Kilometer von São Paulo entfernt wohnen, setzen sich seit Jahren gegen den deutschen Großkonzern zur Wehr, weil sie durch das Megaprojekt ihrer Lebensgrundlage beraubt wurden. Ihren Protest gegen den ThyssenKruppp-Konzern wollen sie nun in Brasilien und Deutschland fortführen.

Dabei hätte das Treffen mit den Anwohnern für Wulff lehrreich sein können. Vor allem in dem Schwellenland Brasilien wollen deutsche Konzerne Fuß fassen. Im vergangenen Jahr seien mehr als 40 deutsche Delegationen in dem südamerikanischen Land zu Gast gewesen, berichtete die Deutsche Presse-Agentur unter Berufung auf diplomatische Quellen. Auch im jüngsten der Bundesregierung wird deutlich, dass Berlin auf eine Erschließung der lateinamerikanischen Märkte setzt. Konzerne wie Mercedes, Volkswagen, Siemens, ThyssenKrupp, Bayer oder MAN sind bereits vor Ort und auch Wulff reiste mit einer Delegation deutscher Unternehmensvertreter.

Neoliberale Regierungen setzten deswegen Hoffnungen auf das Engagement des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten. In Costa Rica - der zweiten Station der Wulff-Reise - bat Staatschefin Laura Chinchilla den Gast aus Deutschland, sich für eine Ratifizierung eines stagnierenden Freihandelsabkommens zwischen Zentralamerika und der EU einzusetzen. Doch gerade diese Freihandelspolitik hatte in dem zentralamerikanischen Land in den vergangenen Jahren für massive Gegenwehr ( Freier Handel gegen freie Meinung) gesorgt. Viele Akteure in Costa Rica befürchten, dass die Beseitigung der Zollschranken die vergleichsweise schwachen eigenen Märkte und Sozialsysteme überfordert.

In Mexiko hatte der deutsche Bundespräsident der Regierung von Felipe Calderón Hilfe bei der Polizeiausbildung zugesagt. Ein heikles Thema, wie sich nur wenige Tage später zeigte, als Zehntausende gegen die Militarisierung des Landes im Zuge des "Kriegs gegen die Drogen" auf die Straße gingen. Der katholische Priester und Friedensaktivist Alejandro Solalinde hatte sich unmittelbar nach dem Besuch Wulffs deswegen gegen die Ausbildung der mexikanischen Polizei durch deutsche Behörden ausgesprochen.

"In einem solch korrupten Land, in dem der Feind im Inneren steht - was könnte Deutschland da indirekt anrichten?", sagte Solalinde. Der Priester, der sich für soziale Belange und gegen die zunehmende Gewalt in Mexiko einsetzt, wies zugleich darauf hin, dass die deutsche Polizeiausbildung zur Entstehung neuer Gruppierungen des organisierten Verbrechens beitragen könnte. So hätten sich die ersten Mitglieder der Drogenmafia "Los Zetas" ebenfalls aus Angehörigen von Spezialeinheiten rekrutiert, die von den USA und Israel für den Kampf gegen Drogenkartelle ausgebildet und ausgerüstet worden waren.

So zeigte sich bei allen drei Stationen die Widersprüchlichkeit des zunehmenden deutschen Engagements. Im offiziellen Programm des Bundespräsidenten widerspiegelte sich das nicht.