Verlogenes (Glücks)Spiel mit ALG II-Empfängern

Außer Kontrolle

ALG II-Empfänger dürfen in Nordrhein-Westfalen nicht mehr bei Westlotto spielen. Die Empörung ist groß - aber ALG II-Empfänger und ihre Initiativen werden hier instrumentalisiert

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Bei all dem, was ALG II-Empfänger laut Regelsatz sich leisten dürfen (und was nicht), führt logischerweise jede Nachricht, die an Diskriminierung der ALG II-Empfänger denken lässt, zu wütender Empörung und die üblichen Hinweise darauf, dass hier Menschen stigmatisiert werden und demnächst wohl wieder ein "Stern aufgenäht werden muss", dürfen nicht fehlen.

So auch bei der derzeitig heiß debattierten Meldung, dass Westlotto keine Spielscheine mehr an ALG II-Empfänger ausgeben darf. Wobei schon diese verkürzte Nachricht den Sachverhalt verfälscht - das Landgericht Köln hat Westlotto nämlich auferlegt, keine Spielscheine auszugeben, wenn der Spieleinsatz in keinem Verhältnis zu dem Einkommen des potentiellen Spielers liegt. Dabei sind in der einstweiligen Verfügung ALG II-Empfänger explizit genannt, aber die Regelung gilt nicht nur für sie.

Die einstweilige Verfügung hat ein Glücksspielanbieter aus Malta erwirkt und sie ist letztendlich eine logische Konsequenz aus der Tatsache, dass die staatlichen Glücksspielanbieter ihr Monopol damit begründen, dass sie ja auch für Aufklärung sorgen sowie Schutzmaßnahmen vornehmen, welche die private Konkurrenz eben nicht vornimmt.

Da die Bundesregierung explizit angegeben hat, dass das Existenzminimum nicht für Tabak, Alkohol und Glücksspiel genutzt werden soll (bzw. diese einzelnen Ausgaben aus dem Existenzminimum strich), ist es folgerichtig zu urteilen, dass Menschen, die lediglich das Existenzminimum erhalten, vor sich selbst geschützt werden müssen. Die Formulierung des Landgerichtes lässt offen, in welcher Höhe dieses Missverhältnis stehen muss - die Frage ist also, ob schon 5 Euro ausreichen oder es erst um hohe Einsätze geht.

Dennoch zeigt sich die Glücksspielbranche (die staatliche jedenfalls) schockiert und die Erwerbslosenforen lassen sich mit in dieses Empörungsspiel einbinden, indem sie von Diskriminierung und Ausgrenzung sprechen. Dabei geht das Urteil des Landgerichts Köln weit über ein "Keine hohen Einsätze von ALG II-Empfängern" hinaus, denn es bringt in diesem Fall Westlotto in die Lage, _jeden Lottospieler_ zunächst einmal zu einem Finanzstriptease zwingen zu müssen, um ihrer Verpflichtung nachkommen zu können (eine Zuwiderhandlung wird immerhin mit einem Ordnungsgeld in erheblicher Höhe geahndet).

Da es niemandem anzusehen ist, über welches Einkommen er verfügt, ob er noch Schulden hat, sonstige Verpflichtungen wie Unterhalt usw., müsste logischerweise Westlotto eine komplette Bilanz verlangen, um der Schutzfunktion nachzukommen, denn selbst wenn das Einkommen hoch ist, dann heißt dies ja nicht, dass davon nach Abzug aller Schulden etc. noch viel überbleibt.

Die Kunden Westlottos werden sich einen solchen Eingriff in ihre Privatsphäre verbeten, weshalb Westlotto zwangsläufig diejenigen, die nicht bereit sind, Auskunft zu geben, ablehnen müsste. Oder jenen, die bei einer Routineabfrage lügen, den Gewinn verweigern müsste - alles eben aus Gründen des Schutzes von Spielern, was ja der Grund für das Glücksspielmonopol ist. Oder sie geben zu, dass ihnen, wie auch den anderen staatlichen Anbietern, der Schutz der Menschen vor dem Ruin durch Glücksspiele egal ist. Dann aber gibt es für das Glücksspielmonopol keinen Grund mehr.

Statt insofern laut von Diskriminierung der ALG II-Empfänger zu sprechen, gilt es hier vor allen Dingen die Doppelzüngigkeit der staatlichen Wettanbieter zu kritisieren sowie die der Bundesregierung, die laut posaunt, dass ALG II ja fair bemessen sei, dass man ja "nur" Alkohol, Tabak und Glücksspiel etc. herausgerechnet habe, die aber andererseits dann keinerlei Schutzfunktionen etablieren will ,um zu verhindern, dass jene, die nun offiziell nur noch das Existenzminimum erhalten, dieses teilweise oder ganz auch für Glücksspiele ausgeben.