Ägypten: Setzt der Militärrat auf Chaos?

Anti-Riot-Einheiten der ägyptischen Polizei gehen gewaltsam gegen Demonstranten am Tahrirplatz vor

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In einer Woche wird in Ägypten ein Parlament gewählt. Die Wahlen seien schlecht organisiert, das Prozedere kompliziert, laut Experten für durchschnittliche Ägypter kaum zu verstehen und handzuhaben. So wie die Wahlvorbereitungen aussehen, hätten die Wähler nur sehr wenig Zeit, sich mit den Vorgaben auseinanderzusetzen. Auch die Übersicht über die Parteien, die zur Wahl stehen, sieht nicht weniger komplex aus. Manche argwöhnen, dass es der Oberste Militärrat darauf anlegt, dass die Wahlen im Chaos münden.

Dass es dem Supreme Council of the Armed Forces (SCAF) darum geht, seine Macht zu behalten, hat das Gremium in letzter Zeit damit deutlich gemacht, dass man der neuen Verfassung Grundsätze aufsetzen wollte, die dem Militär weitgehende Rechte einräumen, in die die Arbeit der Zivilregierung einzugreifen. Zudem wollte man die Übergabe der Macht noch weiter nach hinten, ins Jahr 2013, versetzen. Das Vorhaben wurde in der Öffentlichkeit stark kritisiert, der Militärrat ruderte zurück, die intendierten Richtlinien wollte man jetzt nur mehr als Orientierung, nicht mehr als bindend, verstanden wissen. Doch blieb die Militärführung in einem Punkt stur, wann sie die Macht übergeben will, soll in ihrer Entscheidung liegen. Man wollte sich nicht festlegen, dass der Zeitpunkt mit der Wahl des Parlaments erreicht wäre.

Resultat dieser Machtmanöver des SCAF ist, dass sich die Opposition gegen den Militärrat wieder deutlich dort zeigte, wo die "Revolution" in ihren Anfang nahm. Auf dem Tahrirplatz versammelte sich am Freitag erneut eine riesige Menschenmenge, die den Militärführern vor Augen führte, dass das Band zwischen denen, die ein neues Ägypten wollen und dem Militär gerissen ist. Die Opposition zum Militärrat konnte noch einmal eine Einigkeit zwischen religiösen und säkularen Kräften herstellen, das zeige sich in der Parole "The People and the People are One Hand" und nicht mehr, wie vordem: "The People and the Army are One Hand" (siehe Revolution 2.0).

Inwieweit die Einigkeit über den Augenblick und die Opposition gegen den SCAF hinaus hält, ist ungewiss. Auch zwischen den religiösen Parteien, zwischen Islamisten und Salafisten, gibt es Gräben. Zunächst jedeoch gibt es nach Ansicht von Beobachtern ein gemeinsames Ziel, den Militärrat zu entmachten:

"These elections have, in some respects, become about getting the SCAF out of power."

In jüngster Zeit setzten Machthaber darauf, mit alten Mitteln die Gegner zu diskreditieren: indem man den zivilen Organisationen, die für mehr Demokratie und Freiheiten eintreten und Kritik üben, unterstellt, dass hinter ihnen eine ausländische Agenda steht und Kritiker als Staatsfeinde behandelt, vor Militärgerichte stellt und hinter Gittern setzt. Auf der anderen Seite warnt die ägyptische Führung via Staatsmedien, wie zuvor Mubarak, vor der islamistischen Gefahr.

In diesem Zusammenhang wurde auch bei Ausschreitungen, wie zuletzt im Oktober, als es zu heftigen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und den Kopten gekommen war ( Militär agiert brutal gegen Kopten), eine ausländische Verschwörung als Hintergrund behauptet und die Ursache der Gewalt bei denen gesucht, gegen die die Sicherheitskräfte mit brutalen Mitteln vorgehen.

Auch bei dem gestrigen gewalttätigen Vorgehen der berüchtigten Anti-Riot-Polizeikräften CSF gegen Demonstranten am Tahrirplatz, das zu mindestens 2 Toten und mehreren hundert Verletzten führte, spielt das Innenministerium den Unschuldigen. Man habe keine Munition jeglicher Art und auch nicht geschossen, verkündete, ein Sprecher des Innenministeriums im Staatsfernsehen. Fotos vom Tahrirplatz beweisen das Gegenteil.

Zu klären wäre nun, welche Kontrolle der Militärrat über die CSF-Polizeieinheiten hat, ob sie auf Direktiven von ganz oben handeln oder "eigenständig". In ähnlicher Form gab es diese Fragestellung schon zu Zeiten, als gegen Mubarak protestiert wurde.