"Unsicherheiten" in Gorleben auf Druck der Kohl-Regierung gestrichen

Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) musste ihre Einschätzung offenbar auf Druck der schwarz-gelben Regierung umschreiben.

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Offensichtlich hatte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) erheblich größere Zweifel an der Eignung Gorleben als nukleares Endlager für hochradioaktive Abfälle, als bisher bekannt wurde. Der "Frankfurter Rundschau" und der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg liegen Dokumente vor, aus denen hervorgeht, dass man sich über fachliche Bedenken gegen den Salzstock Gorleben als Atommülllager hinweggesetzt habe. So sei ein Gutachten der Vorgängerbehörde des Bundesamts für Strahlenschutz umgeschrieben worden, berichtete die Zeitung.

"Gorleben wurde damit gegen den ausdrücklichen Rat der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) voreilig als einziger zu untersuchender Standort für hochradioaktiven Atommüll bestimmt", heißt es in der FR. Die PTB-Experten hätten sich 1983 in ihrer ersten Bewertung der 1979 gestarteten Tiefbohrungen dafür ausgesprochen, wegen "Unsicherheiten in Bezug auf Eignungsaussagen" parallel "weitere Standorte" zu erkunden, statt alles auf die Karte Gorleben zu setzen. "Dies würde auch die Akzeptanz des Standortes Gorleben erhöhen", heißt es am Ende des Zwischenberichts, der auf den 6.5.83 datiert ist.

Die PTB-Experten hätten festgestellt, "dass die über den zentralen Bereichen des Salzstocks Gorleben vorkommenden tonigen Sedimente keine solche Mächtigkeit und durchgehende Verbreitung haben, dass sie in der Lage wären, Kontaminationen auf Dauer von der Biosphäre zurückzuhalten". Es müsse damit gerechnet werden, dass Radioaktivität schon nach "600 beziehungsweise 1100 Jahren" in den "untersten Grundwasserleiter" eintreten könnten. Vielleicht waren die Experten aber sogar noch zu optimistisch, wenn man sich das anschaut, was sich in der Asse ereignet, das als Versuchsendlager firmiert. Als Schwachpunkt wurde auch das Salzgestein selbst eingestuft. Das Mineral, das härter und spröder als Salz ist, gilt als potenziell wasserführende Schicht. Die PTB-Experten befürchteten, dass sich dort durch die Einlagerung der hochradioaktiven Stoffe, die viel Wärme abgeben, "Wegsamkeiten" für radioaktiv kontaminierte Flüssigkeiten bilden, wie es auch in der Asse schon zu beobachten ist.

Wie nun in der Asse die Sanierung teuer wird, die ja bekanntlich gerade von der Regierung auf den Steuerzahler abgewälzt wurde, obwohl dort die Atomkraftbetreiber ihren Müll eingelagert haben, befürchteten auch die PTB-Experten frühzeitig, dass die voreilige Fixierung auf Gorleben teuer werden könnte: "Es ist daher nicht auszuschließen, dass nach erfolgter untertägiger Erkundung aufwendige Maßnahmen an der technischen Barriere notwendig werden, um die Einhaltung von Grenzwerten sicherzustellen."

Doch das alles durfte nicht im offiziellen Bericht stehen. Zu einem Bewertungstreffen seien unerwartet auch Vertreter des Kanzleramtes sowie des Forschungsministeriums erschienen. Die hätten die PTB zur Änderung ihres Gutachtens aufgefordert, was auch schnell geschehen sei. "In der nur einen Tag später verschickten Neufassung wird das Projekt plötzlich sehr positiv bewertet". Die "Schlussfolgerungen" beginnen mit dem neu hinzugefügten Satz: "Die bisherigen Erkenntnisse über den Salzstock haben die Aussagen über seine Eignungshöffigkeit für die Endlagerung der vorgesehenen radioaktiven Abfälle voll bestätigt." Und angesichts derlei Vorgänge darf eigentlich nicht verwundern, dass faktisch in im Salzstock keine Erkundung vorgenommen wurde, sondern schon damit begonnen wurde, ein Endlager einzurichten.

Der Sprecher der Bürgerinitiative Sprecher Wolfgang Ehmke sagte, die BI habe in der vergangenen Woche nach langem Bitten Einblick in die Akten erhalten. "Die Genese des PTB-Entwurfs von der Arbeitsfassung bis hin zum "Zwischenbericht" zeigt, dass mit der Untersuchung anderer Standorte nicht auf die Akzeptanz abgestellt wurde, sondern auf ein finanzielles Risiko", stellt Ehmke fest. "An keiner Stelle findet sich in Vorentwürfen die Behauptung, dass der Salzstock eignungshöffig sei bzw. dass die Tiefbohrungen dieses "voll bestätigt" hätten, wie es im "Zwischenbericht" formuliert wurde". Für die BI ist klar, dass "es eine politische Bevormundung der Fachbehörde gab".

Doch die BI kritisiert auch das heutige Bundesumweltministerium: "Der Verzicht auf eine doppelte geologische Barriere, wie es seitens des heutigen Bundesumweltministers Sigmar Gabriel vorgeschlagen wird, erscheint nach der Lektüre des PTB-Entwurfs in einem äußerst fragwürdigen Licht, damit wird ein wesentlicher fachlicher Einwand gegen Gorleben wegdefiniert." So stürze die "Gorleben-Lüge wie ein Kartenhaus ein", sagte Ehmke und die BI sieht sich darin bestätigt, am 5. September in Berlin für den sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft zu demonstrieren, damit eine ergebnisoffene, vergleichende Endlagersuche starten kann."

Im Regierungslager führten die neuen Erkenntnisse zu einer kleinen Wahlkampfdiskussion. Die damalige Entscheidung der schwarz-gelben Regierung unter Kohl für den Standort Gorleben sei von Beginn an "weniger fachlich, sondern vielmehr politisch motiviert" gewesen, sagte Sigmar Gabriel. Die Haltung zum Endlager in Gorleben sei eine "unrühmliche Aneinanderreihung von Versagen, Vertuschen und Verschweigen" gewesen. Unions-Fraktionsvize Katherina Reiche weist hingegen jede Kritik zurück: "Alle bisher gewonnenen fachlich-wissenschaftlichen Erkenntnisse haben jedoch die Eignung des vorgesehenen Endlagerstandortes Gorleben gezeigt", beteuerte sie.