Fukushima: Angst vor dem nächsten Beben

Tausende abgebrannte Brennstäbe lagern in einem Becken in mehreren Metern Höhe, das nur von provisorischen Stützen und einem stark beschädigten Gebäude getragen wird

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Stellen Sie sich vor, Sie sind Betreiber eines Atomkraftwerks und suchen einen Platz für ihre abgebrannten Brennstäbe. Die müssen nämlich zunächst in ein sogenanntes Abklingbecken, wo unter beständiger Wasserkühlung die radioaktiven Zerfallsprozesse der Spaltprodukte weit genug abklingen, so dass die Restzerfallswärme handhabbar wird und der Atommüll behandelt und gegebenenfalls auch transportiert werden kann. Wo auf ihrem Betriebsgelände würden Sie also ein solches Becken einrichten, zumal wenn Sie Ihren Meiler in eine immer wieder mal von schweren Erdbeben und Tsunamis gefährdeten Region errichtet hätten. Doch sicherlich nicht aufs Dach der Anlage oder in eines der oberen Stockwerke, sonder eher ebenerdig, oder?

Nun, Japans inzwischen verstaatlichter AKW-Betreiber Tepco muss sich bei seinen Katastrophen-Reaktoren andere Gedanken gemacht haben. Vielleicht hat man auch gar nicht nachgedacht, sondern das Abklingbecken einfach dorthin gepackt, wo noch Platz war. Oder der Grund, es in eines der oberen Stockwerke zu packen, war die Nähe zum Deckel des Druckbehälters, aus dem die abgebrannten Elemente entnommen werden.

Wie dem auch sei, am Reaktor 4 des AKW Fukushima Daiichi hängt nun ein solches Abklingbecken in luftiger Höhe in einem durch das Erdbeben reichlich lädierten Gebäude. Das Kühlsystem ist bereits mehrfach ausgefallen und das Becken muss durch eine Hilfskonstruktion gestützt werden. Sollte die Kühlung längere Zeit versagen, zum Beispiel weil das Becken durch ein weiteres Beben beschädigt wird, könnten die Stäbe Feuer fangen und große Mengen radioaktiven Cäsiums freisetzen.

Wie die New York Times berichtet, machen sich inzwischen viele unabhängige Beobachter Sorgen wegen des Zustands des Beckens. Trotz der handzahmen Medien des Landes, die sich noch immer wenig Kritik an der Atomindustrie erlauben, haben sich auch in der Bevölkerung offensichtlich Ängste ausgebreitet. Die Regierung hat also kürzlich ihren Umweltminister Goshi Hosono vorbeigeschickt, der einen Blick ins Becken warf und – wer hätte das gedacht – Entwarnung gab. Alles halb so schlimm.

Tepco lässt wissen, dass es noch bis Ende 2013 dauern wird, bis das Becken geleert werden kann. Eines der Probleme ist, dass der dafür notwendige Kran bei dem großen Beben vor 14 Monaten, das die Katastrophe auslöste, beschädigt wurde. In dem Becken liegen nach Angaben der New York Times 1331 Bündel mit jeweils Dutzenden von Brennstäben.

Der Grund für diese ungewöhnlich große Menge: In Japan werden bisher die abgebrannten Brennstäbe oft bei den jeweiligen AKWs gelagert. In Fukushima Daiichi haben sie sich bereits seit 1973 angehäuft, da das Land, wie auch alle anderen Staaten, die Atomkraft nutzen, kein tragfähiges Konzept für den Umgang mit radioaktiven Müll hat. Besorgten Bürgern hatte man bisher versprochen, die abgebrannten Brennstäbe würden wiederaufbereitet und erneut verwandt.

Einige der Brennstäbe sind übrigens noch nicht völlig abgebrannt, da sie dem Reaktor zu einer Inspektion entnommen worden waren. Reaktor 4 war nämlich zum Zeitpunkt des Erdbebens nicht im Betrieb, weshalb es in seinem Kern im Gegensatz zu den Nachbaranlagen auch keine Probleme gab. Diese nicht vollständig abgebrannten Brennstäbe sind die ersten Kandidaten für das unkontrollierte Ingangsetzen einer Kettenreaktion, sollte durch ein erneutes Erdbeben die Absperrungen zwischen den Brennstäben zerstört werden.